Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
seinen Caduceus, aber sie schwiegen, deshalb nahm ich an,
dass Hermes wirklich sehr, sehr wütend war. Vielleicht hätte ich den Mund halten sollen, aber ich sagte: »Ich muss mich bei Euch entschuldigen.«
Hermes sah mich misstrauisch an. »Und warum das?«
»Ich habe Euch für einen schlechten Vater gehalten«, gab ich zu.
»Ich habe gedacht, Ihr hättet Luke im Stich gelassen, weil Ihr seine Zukunft kanntet und nichts unternommen habt, sie zu
verhindern.«
»Ich habe seine Zukunft tatsächlich gekannt«, sagte Hermes
unglücklich.
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»Aber Ihr habt mehr gewusst als nur den schlimmen Teil – dass
er böse werden würde. Ihr habt gewusst, was er am Ende tun
würde. Ihr habt gewusst, dass er die richtige Entscheidung treffen würde. Aber das konntet Ihr ihm nicht sagen, oder?«
Hermes starrte den Springbrunnen an. »Niemand kann das
Schicksal verändern, Percy, nicht einmal ein Gott. Wenn ich ihm gesagt hätte, was passieren würde, oder wenn ich versucht hätte, seine Entscheidungen zu beeinflussen, hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Zu schweigen, ihm aus dem Weg zu gehen …
nichts ist mir je so schwergefallen.«
»Ihr musstet ihn seinen eigenen Weg gehen lassen«, sagte ich.
»Und ihn seine Rolle bei der Rettung des Olymps spielen lassen.«
Hermes seufzte. »Ich hätte nicht so wütend auf Annabeth wer-
den dürfen. Als Luke sie in San Francisco besucht hat … na ja, ich wusste, sie würde in seinem Schicksal eine Rolle spielen. So viel habe ich immerhin vorausgesehen. Ich dachte, sie könnte vielleicht tun, was ich nicht tun konnte, und ihn retten. Als sie sich geweigert hat, mit ihm zu gehen, konnte ich meinen Zorn kaum beherrschen.
Ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin immer noch wütend auf mich selbst.«
»Annabeth hat ihn wirklich gerettet«, sagte ich. »Luke ist als Held gestorben. Er hat sich geopfert, um Kronos zu töten.«
»Ich weiß deine Worte zu schätzen, Percy. Aber Kronos ist nicht tot. Du kannst einen Titanen nicht töten.«
»Aber wo …?«
»Ich weiß es nicht«, knurrte Hermes. »Niemand weiß es. Zu
Staub zerfallen. Vom Winde verweht. Mit etwas Glück ist er so weit verstreut worden, dass er nie wieder ein Bewusstsein haben wird, von einem Körper ganz zu schweigen. Aber du darfst ihn nicht für tot halten, Percy.«
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Mein Magen schlug einen Purzelbaum und mir wurde fast
schlecht. »Was ist mit den anderen Titanen?«
»Die haben sich versteckt«, sagte Hermes. »Prometheus hat
Zeus eine Botschaft geschickt mit tausend Ausflüchten dafür, dass er Kronos unterstützt hat. ›Ich wollte nur versuchen, die Zerstörung möglichst klein zu halten‹, bla, bla, bla. Er wird sich für einige Jahrhunderte bedeckt halten, wenn er klug ist. Krios ist geflohen und der Othrys zu Ruinen zerfallen. Okeanos ist wieder in die Tiefe des Ozeans verschwunden, als Kronos’ Niederlage fest-stand. Mein Sohn Luke jedoch ist tot. Er ist in dem Glauben
gestorben, ich liebte ihn nicht. Das werde ich mir nie verzeihen.«
Hermes durchschlug den Nebel mit seinem Caduceus. Das Irisb-
ild verschwand.
»Vor langer Zeit«, sagte ich, »habt Ihr mir erzählt, zum Schwersten im Leben eines Gottes gehöre es, Euren Kindern nicht helfen zu können. Aber Ihr habt mir auch gesagt, dass man seine Familie nicht im Stich lassen darf, egal wie verlockend es ist.«
»Und jetzt weißt du, dass ich ein Heuchler bin?«
»Nein. Ihr hattet Recht. Luke hat Euch geliebt. Und am Ende hat er sein Schicksal erkannt. Ich glaube, er hat verstanden, warum Ihr ihm nicht helfen konntet. Er hat sich daran erinnert, was wirklich wichtig ist.«
»Zu spät für ihn und mich.«
»Ihr habt noch mehr Kinder. Ehrt Luke, indem Ihr sie anerken-
nt. Das sollten alle Götter tun.«
Hermes ließ die Schultern hängen. »Wir werden alle versuchen,
unser Versprechen zu halten. Und vielleicht wird die Lage sich eine Zeit lang bessern. Aber es ist uns Göttern niemals leichtgefallen, unsere Versprechen zu halten. Du bist auch aufgrund eines
gebrochenen Versprechens geboren worden, oder nicht? Irgend-
wann werden wir vergesslich. Das ist immer so.«
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»Ihr könnt Euch ändern.«
Hermes lachte. »Nach dreitausend Jahren glaubst du, die Götter könnten ihr Wesen ändern?«
»Ja«, sagte ich. »Das glaube ich.«
Das schien Hermes zu überraschen. »Du meinst … Luke hat
mich am Ende doch geliebt? Nach allem, was passiert ist?«
»Ich bin sicher.«
Hermes starrte den Springbrunnen
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