Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
konnten zwar weiter schiessen, aber die Pfeile federten zurück.
Zwei Bogenschützen rannten vorbei, gejagt von wütenden Ares-
Leuten, die in Versen brüllten: »Mich verfluchen? Das wirst du beklagen/Ich werd dich am Ende mit Reimen erschlagen!«
Annabeth seufzte. »Nicht schon wieder. Als Apollo das letzte Mal eine Hütte verflucht hat, durften sie erst nach einer Woche mit Reimen wieder aufhören.«
Mir schauderte. Apollo war der Gott der Dichtkunst und des Bo-
genschießens, und ich hatte ihn schon selbst dichten hören. Ehrlich gesagt würde ich mich lieber mit einem Pfeil erschießen lassen.
»Worum streiten sie denn überhaupt?«, fragte ich.
Annabeth beachtete mich nicht, sie kritzelte auf ihrer Inspek-
tionsrolle herum und gab beiden Hütten einen von fünf möglichen Punkten.
Ich ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte, was blödsinnig war, ich hatte sie schließlich schon eine Milliarde Mal gesehen. Sie und ich waren in diesem Sommer gleich groß, was eine Erleichterung war. Aber sie kam mir trotzdem so viel reifer vor. Es war irgendwie einschüchternd. Ich meine, klar, sie war immer schon toll 70/396
gewesen, aber jetzt fing sie an, zu einer wirklichen Schönheit zu werden.
Schließlich sagte sie: »Um den fliegenden Wagen.«
»Was?«
»Du wolltest doch wissen, worum sie streiten.«
»Ach ja, richtig.«
»Sie haben ihn vorige Woche bei einem Angriff in Philadelphia
erbeutet. Einige von Lukes Halbgöttern waren mit diesem flie-
genden Wagen da. Die Apollo-Hütte hat ihn sich während des
Kampfes gekrallt, aber die Ares-Hütte hat den Angriff geleitet. Deshalb streiten sie sich seitdem darum, wer ihn bekommt.«
Wir duckten uns, als Michael Yews Wagen im Sturzflug auf einen Ares-Camper zubrauste. Der Ares-Camper versuchte, nach Michael zu stechen und ihn mit gereimten Zweizeilern zu verfluchen. Er war ziemlich kreativ, wenn es um gereimte Verwünschungen ging.
»Wir kämpfen um unser Leben«, sagte ich, »und die zanken sich
um eine blöde Karre.«
»Das geht schon vorbei«, sagte Annabeth. »Clarisse wird irgendwann Vernunft annehmen.«
Da war ich mir nicht so sicher. Es klang überhaupt nicht nach
der Clarisse, die ich kannte.
Ich sah noch einige Berichte durch und wir inspizierten weitere Hütten. Demeter bekam vier Punkte. Hephaistos bekam drei und
wäre normalerweise noch weiter unten gelandet, aber nach der
Sache mit Beckendorf sahen wir das nicht so eng. Hermes erzielte zwei, was nicht besonders überraschend war. Alle Camper, die
ihren göttlichen Elternteil nicht kannten, wurden in die Hermes-Hütte gepfercht, und da die Götter in der Hinsicht ziemlich vergesslich waren, war diese Hütte immer überfüllt.
Endlich erreichten wir die Athene-Hütte, die wie immer ordent-
lich und sauber war. Die Bücher standen gerade in den Regalen.
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Die Rüstung war poliert. Schlachtübersichten und Bauzeichnungen schmückten die Wände. Nur Annabeths Bett war ein einziges
Chaos. Es war mit Papieren übersät und ihr silberner Laptop war eingeschaltet.
»Vlacas«, murmelte Annabeth, was im Grunde bedeutete, dass sie sich auf Griechisch als Trottel bezeichnete.
Ihr Stellvertreter, Malcolm, unterdrückte ein Lächeln. »Ja, äh …
wir haben alles andere sauber gemacht. Wussten nicht, ob wir
deine Notizen anfassen durften.«
Das war vermutlich klug von ihm. Annabeth hatte ein
Bronzemesser, das sie nur für Monster und für Leute, die in ihrem Kram herumfummelten, benutzte.
Malcolm grinste mich an. »Wir warten draußen, während ihr die
Inspektion macht.« Die Athene-Leute zogen im Gänsemarsch aus
der Tür, während Annabeth ihr Bett aufräumte.
Ich trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und gab vor,
weiter Berichte durchzusehen. Streng genommen war es zwei Cam-
pern selbst während der Inspektion nicht erlaubt, … na ja, in einer Hütte allein zu sein.
Diese Regel war sehr oft Thema gewesen, seit Silena und
Beckendorf zusammen waren. Und ich weiß, dass einige von euch
jetzt denken: Sind nicht alle Halbgötter göttlicherseits miteinander verwandt? Dürfen die überhaupt was miteinander anfangen? Aber
es ist so, dass die göttliche Seite unserer Familie keine Rolle spielt, da Götter genetisch gesehen irgendwie keine DNA haben. Und ein Halbgott würde niemals auf die Idee kommen, mit jemandem mit
demselben göttlichen Elternteil zusammen zu sein. Zwei aus der Athene-Hütte? Nie und nimmer. Aber eine Tochter der Aphrodite
und ein Sohn des
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