Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
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hängen geblieben. Sie hatten an die siebzig Jahre dort verbracht, dann hatte ein geheimnisvoller Anwalt sie gerettet und in ein Internat gebracht. Nico hatte keine Erinnerungen an sein Leben vor
dem Casino. Er wusste nichts über seine Mutter. Er wusste nicht, wer der Anwalt gewesen war oder warum sie in der Zeit festgehan-gen hatten und dann freigelassen worden waren. Seit Biancas Tod war er allein und davon besessen, die Antworten auf diese Fragen zu finden.
»Und wie ist es gelaufen?«, fragte ich. »Irgendwas erreicht?«
»Nein«, murmelte er. »Aber ich habe vielleicht eine neue Spur.«
»Und was für eine?«
Nico nagte an seiner Lippe. »Das spielt jetzt keine Rolle. Du
weißt, warum ich hier bin.«
Ein Gefühl der Angst breitete sich in meiner Brust aus. Seit Nico mir im vergangenen Sommer erstmals seinen Plan geschildert
hatte, Kronos zu besiegen, hatte ich Albträume davon. Ab und zu kam er und verlangte eine Antwort, aber ich wimmelte ihn immer wieder ab.
»Nico, ich weiß nicht«, sagte ich. »Mir kommt das ganz schön
extrem vor.«
»Du musst in … etwa einer Woche mit Typhon rechnen. Die
meisten anderen Titanen sind ebenfalls von der Kette gelassen und halten zu Kronos. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt da, um extrem zu denken.«
Ich schaute zum Camp zurück. Sogar aus dieser Entfernung kon-
nte ich hören, dass die Hütten von Ares und Apollo wieder aneinandergeraten waren, sie schrien Verwünschungen und warfen mit
schlechten Reimen um sich.
»Sie können es mit der Titanenarmee nicht aufnehmen«, sagte
Nico. »Das weißt du. Es hängt alles an dir und Luke. Und du
kannst Luke nur auf eine einzige Weise besiegen.«
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Ich dachte an den Kampf auf der Prinzessin Andromeda. Da hatte ich keine Chance gehabt. Kronos hatte mich mit einem einzigen Schnitt in meinen Arm fast umgebracht, und ich hatte ihn
nicht einmal verwunden können. Springflut war einfach von seiner Haut abgerutscht.
»Wir können dir dieselbe Macht geben«, drängte Nico mich.
»Du hast die Große Weissagung gehört. Wenn du nicht willst, dass eine verfluchte Klinge deine Seele fällt …«
Ich hätte gern gewusst, woher Nico die Weissagung gehört
hatte – vermutlich von irgendeinem Geist.
»Man kann eine Weissagung nicht verhindern«, sagte ich.
»Aber man kann dagegen kämpfen.« In Nicos Augen leuchtete
ein seltsames hungriges Licht. »Man kann unbesiegbar werden.«
»Vielleicht sollten wir warten. Versuchen zu kämpfen ohne …«
»Nein!«, fauchte Nico. »Es muss jetzt sein.«
Ich starrte ihn an. Ich hatte sein Temperament schon lange nicht mehr dermaßen auflodern sehen. »Äh, bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Er holte tief Luft. »Percy, ich meine doch nur … wenn der Kampf losgeht, können wir die Reise nicht mehr machen. Das hier ist unsere letzte Chance. Es tut mir leid, wenn ich dich zu sehr bedränge, aber vor zwei Jahren hat meine Schwester ihr Leben geopfert, um dich zu beschützen. Das musst du wiedergutmachen. Tu, was immer nötig ist, und besiege Kronos.«
Diese Vorstellung gefiel mir gar nicht. Dann dachte ich daran, dass Annabeth mich als Feigling bezeichnet hatte, und ich wurde wütend.
Nico hatte nicht Unrecht. Wenn Kronos New York angriff,
würden die Camper seinen Truppen nicht gewachsen sein. Ich
musste etwas unternehmen. Nicos Methode war gefährlich –
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vielleicht sogar tödlich. Aber sie könnte mir größere Kampfkraft geben.
»Na gut«, entschied ich. »Was machen wir als Erstes?«
Sein kaltes, verschlagenes Lächeln ließ mich meine Zustimmung
gleich wieder bereuen. »Als Erstes müssen wir auf Lukes Pfaden wandeln. Wir müssen mehr über seine Vergangenheit in Erfahrung bringen, über seine Kindheit.«
Mir schauderte und ich dachte an Rachels Bild von Luke in
meinem Traum – von einem lächelnden, neun Jahre alten Luke.
»Warum müssen wir darüber mehr wissen?«
»Das erkläre ich, wenn wir dort sind«, sagte Nico. »Ich habe
seine Mutter schon ausfindig gemacht. Sie lebt in Connecticut.«
Ich starrte ihn an. Ich hatte nie besonders viel über Lukes sterblichen Elternteil nachgedacht. Sein Dad, Hermes, war mir schon begegnet, aber seine Mom …
»Luke ist weggelaufen, als er noch sehr klein war«, sagte ich.
»Ich hätte nicht gedacht, dass seine Mom noch lebt.«
»Na ja, sie lebt schon.« So, wie er das sagte, fragte ich mich, was mit ihr nicht stimmte. Was für ein schrecklicher Mensch mochte sie wohl sein?
»Okay«,
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