Perdido - Das Amulett des Kartenmachers
den Flügeln, bis er knallrot im Gesicht war, aber seine Hufe hoben keinen Fingerbreit vom Boden ab. Schließlich gab er es auf und seine Flügelchen hingen herunter wie zwei nasse Wischlappen.
»Es hat keinen Zweck«, sagte er kleinlaut. »Ich schaff ’s nicht. Hoffentlich denkt ihr deswegen nicht schlechter von mir.«
»Keine Bange, Pigasus, alter Freund«, erwiderte Herkules, »ich könnte gar nicht noch schlechter von dir denken.«
Pigasus schüttelte bekümmert den Kopf. »Offenbar hat der lange Flug von der Lilabucht mit Hugo auf dem Rücken seinen Tribut gefordert.«
»Und mit mir auf dem Rücken auch«, fügte Herkules an.
»Natürlich, natürlich. Dein Gewicht hat bestimmt den Ausschlag gegeben.«
»Lasst gut sein – ich übernehme das!«, meldete sich da Delfina zu Wort. »Ich kann schneller schwimmen als die ollen Warzenschnecken.«
»Und wenn sie dich trotzdem kriegen?«, fragte Hugo.
»Die kriegen mich nicht«, erwiderte Delfina trotzig, und schon stürmte sie das steile Kiesufer hinunter. Doch unten blieb sie stehen. Vor ihr kräuselte sich das Wasser. Die kreisrunden Kringel wurden immer größer, dann teilten sich die Fluten und ein schleimiger Klumpen tauchte auf und glitt wie eine Riesenmade das Ufer hoch. Delfina stand einer fleischfressenden Mörderschnecke Auge in Fühler gegenüber.
Als sich das Vieh vor ihr aufbäumte, machte Delfina einen Luftsprung, schnellte mit einem Salto über den Kopf der Schnecke hinweg und landete geräuschlos hinter ihr. Sie nahm das Seil von der Schulter, und während die Schnecke noch unschlüssig hin und her schwankte, ließ die Nixe schon die Schlaufe über dem Kopf kreisen. Je geschwinder das Seilende kreiste, desto größer und runder wurde die Schlaufe. Nun hatte die Giftschnecke Delfina endlich gewittert und bog den Leib, um sich auf sie zu wälzen. Die beiden kleinen Nasenöffnungen oben auf ihrem Kopf bebten vor Gier.
Delfina holte mit dem Lasso aus. Die Schlinge segelte durch die Luft und legte sich um den unförmigen Schneckenleib. Delfina versetzte dem Seil einen kräftigen Ruck und das plumpe Vieh hatte auf einmal eine schlanke Taille.
»Bravo, Delfina!«, jubelte Pigasus.
»Diese Schnecke schlingt so bald niemanden mehr herunter«, witzelte Herkules.
»Stimmt«, ging Hugo darauf ein, »das Vieh hängt ganz schön in den Seilen!«
Als sich die Riesenschnecke abermals aufbäumte, sprang Delfina noch einmal saltoschlagend über sie hinweg und kam neben einem Felsbrocken auf, an dem sie das freie Seilende befestigte. Sie machte einen großen Bogen um das Untier und lief wieder ans Ufer. Die aufgebrachte Schnecke wollte hinterher, wurde jedoch vom Seil zurückgerissen und fiel auf den Rücken.
»Geschieht dir recht, widerliches Schleimgetüm!«, rief Delfina schadenfroh.
Aber als sie eben in den Fluss springen wollte, tauchten zwei weitere Schnecken auf und glitten auf sie zu.
Delfina machte kehrt und kletterte die Böschung hoch, um sich ins Schilf zu flüchten. Daraufhin wachten die beiden dösenden Schnecken auf und beteiligten sich an der Jagd. Delfina wurde nun von vier Ungeheuern verfolgt, und es war abzusehen, dass sie ihnen nicht entkommen konnte.
Da kam Snowdon aus dem Schilf gestürmt, rannte brüllend die Böschung hinunter und schwang das Schwert mit beiden Pranken über dem Kopf. Ohne anzuhalten, preschte er geradewegs an Delfina vorbei und köpfte die vorderste Schnecke wie ein weichgekochtes Frühstücksei. Das kopflose Vieh kippte um, grüner Schleim floss über die Uferkiesel.
Snowdon machte kehrt und stapfte das Ufer entlang. Die drei verbliebenen Schnecken hatten nun ihn zu ihrem Opfer erkoren und glitten über den Kies, indem sie die Leiber abwechselnd zusammenzogen und wieder streckten und dicke Schleimspuren hinter sich herzogen.
Delfina begriff, dass Snowdon die Viecher ablenken wollte, und lief wieder zum Fluss. Sie glitt so geschickt ins Wasser, dass es sich nur kaum merklich kräuselte. Unter Wasser vollführte sie einen kräftigen Schlag mit den schwimmhäutigen Füßen und war verschwunden.
»Pass auf, Snowdon!«, rief Hugo.
Eine Schnecke hatte Snowdon beinahe eingeholt. Snowdon drehte sich mit gezücktem Schwert um, doch da rammte ihm eine andere Schnecke den plumpen Kopf in die Flanke, sodass er hinfiel. Er wollte sich aufrappeln, aber das Vieh schubste ihn abermals um. Jetzt war er umzingelt.
»Wir können doch nicht einfach zusehen!«, sagte Hugo. »Los, Pigasus, lass dir was einfallen!
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