Perdido Street Station 01 - Die Falter
langsam auf. Er schaute Yagharek an.
»Wunderbar«, sagte er. »Besser spät als nie. Endlich tut sie, weswegen ich sie überhaupt gekauft habe. Der kleine Vielfraß verpuppt sich.«
Nach einer Weile nickte Yagharek bedächtig.
»Bald wird sie fliegen können«, meinte er leise.
»Nicht unbedingt, alter Freund. Nicht bei jeder Metamorphose kommt etwas mit Flügeln heraus.«
»Du weißt nicht, was es werden wird?«
»Das, Yag, ist der einzige Grund, weshalb ich das vermaledeite Ding so lange behalten habe. Neugier. Hat mich nicht ruhen lassen.« Isaac grinste. In Wahrheit verspürte er eine gewisse Nervosität, wenn er beobachtete, wie das rätselhafte Geschöpf nun endlich tat, worauf er seit dem ersten Tag gewartet hatte. Er verfolgte, wie es sich in einer seltsamen, akribischen Umkehrung der gewöhnlichen Körperpflegegewohnheiten einspann. Es ging schnell. Die leuchtend bunten Farben ihrer Haut wurden von den ersten Fäden silbrig betaut und dann sehr rasch unsichtbar.
Yaghareks Interesse an dem Vorgang war nur von kurzer Dauer. Er schnallte den hölzernen Rahmen um, der seine Verstümmelung tarnte, und warf den Umhang darüber.
»Ich gehe jetzt, Grimnebulin«, sagte er.
Isaac riss sich von der Beobachtung seines Studienobjekts los. »Ja – ja, selbstverständlich. Ich werde mich daranmachen, die Maschine zu bauen. Da ich mittlerweile gelernt habe, dass es zwecklos ist, werde ich dich nicht fragen, wann du wieder vorbeizuschauen gedenkst. Du kommst eben, wenn dir danach ist.« Er schüttelte den Kopf.
Yagharek war bereits unten angelangt. Er drehte sich noch einmal kurz um, grüßte zu Isaac hinauf und ging.
Isaac winkte zurück. Er war tief in Gedanken, seine Hand blieb noch eine Weile in der Luft hängen, nachdem Yagharek längst fort war. Endlich ließ er sie fallen und wandte sich wieder seiner Raupe zu.
Ihr Mantel aus feuchtem Gespinst trocknete schnell. Das Hinterteil war schon steif und starr, was die Beweglichkeit der Raupe einschränkte und sie zu immer klaustrophobischeren Verrenkungen zwang. Isaac zog sich einen Stuhl heran. Er machte Notizen.
Die Stimme des Gewissens warnte ihn, er wäre in Gefahr, sich geistig zu verzetteln, er solle sich sammeln und auf seine vordringliche Aufgabe konzentrieren … Doch es war nur ein leises Wispern und nicht sehr überzeugend – pro forma. Schließlich gab es nichts, was Isaac daran hindern konnte, dieses außergewöhnliche Phänomen zu beobachten. Er setzte sich bequem zurecht und nahm ein Vergrößerungsglas zur Hand.
Die Raupe brauchte etwas mehr als zwei Stunden, um sich in einen Kokon einzuspinnen. Das komplizierteste Manöver war das am Kopfende. Die Raupe musste sich eine Art Kragen speicheln und ihn antrocknen lassen, bevor sie sich in ihrer Hülle zusammenzog, sich für ein paar Augenblicke kürzer und dicker machte, während sie einen Deckel spann und sich einschloss. Sie dehnte sich gegen diese zweite Haut, um die Haltbarkeit zu prüfen, dann produzierte sie noch mehr Fasern, bis ihr Kopf vollständig bedeckt und nichts mehr von ihr zu sehen war.
Für kurze Zeit war die schotenähnliche Hülle tatsächlich wie eine zweite Haut, wurde dicker, länger, kürzer, entsprechend den Bewegungen im Innern, dann härtete sie aus, das Weiß gilbte zu einem stumpfen Perlmutt. Sie pendelte leicht im Luftstrom, doch ihr Innenleben war jetzt ein Geheimnis.
Isaac lehnte sich zurück und schrieb. Wahrscheinlich hat Yagharek doch Recht damit, dass etwas mit Flügeln dabei herauskommt, dachte er. Der baumelnde Kokon sah aus wie eine Schmetterlings- oder Mottenpuppe aus dem Lehrbuch, nur wesentlich größer.
Draußen wurde das Licht weicher und sämiger.
Der Kokon hing seit mehr als einer halben Stunde bewegungslos in seiner Ecke, als unten die Tür aufging und Isaac von seinem Stuhl hochschrak.
»Irgendjemand da oben?«, rief David.
Isaac beugte sich über das Geländer und begrüßte ihn.
»Ein Handwerker war da und hat sich dein Faktotum angesehen. Er meint, du brauchtest ihm nur etwas einzuheizen, dann müsste es funktionieren.«
»Gott sei Dank! Ich habe die Nase voll von dem Dreck, zumal wir noch dazukriegen, was an weniger Gutem von dir da oben kommt. Sollte das Absicht sein?« David griente.
»Aber nicht doch«, verwahrte Isaac sich, dabei schob er ostentativ mit dem Fuß Staub und Undefinierbares unter dem Geländer hindurch. David lachte und verschwand unter den Bodenbrettern aus seinem Blickfeld. Isaac hörte ein metallisches Boing,
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