Perdido Street Station 01 - Die Falter

Obstabfälle vom Fußboden auf. Guteseele, die Dachsin, wanderte lustlos an der hinteren Wand hin und her.
    Lemuel stieß Vermishank auf den mittleren von drei Stühlen bei der Tür und setzte sich in ein paar Metern Entfernung ihm gegenüber hin. Ostentativ zog er seine Pistole heraus und richtete die Mündung auf Vermishanks Kopf.
    Isaac schloss die Haustür ab.
    »Also gut, Vermishank«, sagte er in geschäftsmäßigem Ton. Er setzte sich und fixierte seinen ehemaligen Chef. »Lemuel ist ein ausgezeichneter Schütze, für den Fall, dass du irgendwelche abenteuerlichen Ideen haben solltest. Um ehrlich zu sein, er ist so was wie ein Gangster. Ein bisschen gefährlich. Und ich bin nicht in der Stimmung, für dich den Lebensretter zu machen, deshalb sag uns lieber freiwillig, was wir wissen wollen.«
    »Und das wäre?«, fragte Vermishank glatt.
    Isaac war wütend, doch er konnte Vermishank eine gewisse Bewunderung nicht versagen. Der Mann hatte Nerven.
    Keine gute Basis für die bevorstehende Unterhaltung.
    Isaac stand auf und trat vor Vermishank hin. Der ältere Mann blickte gelassen zu ihm auf; zu spät erkannte er, dass Isaac ihn wieder schlagen wollte, und seine Augen weiteten sich erschreckt.
    Isaac boxte Vermishank zweimal ins Gesicht, ohne sich von dem verblüfften und schmerzerfüllten Aufschrei seines alten Chefs beeindrucken zu lassen. Er legte ihm die Hand um die Kehle, bückte sich und schob sein Gesicht dicht an das seines erschreckten Gefangenen heran. Vermishanks Nase blutete, er zerrte vergeblich an Isaac kräftigen Fingern. Seine Augen waren vor Angst glasig.
    »Ich glaube fast, du verstehst die Situation nicht richtig, alter Knabe«, sagte Isaac leise und drohend. »Ich habe Grund zu der Annahme, dass du schuld daran bist, dass mein Freund da oben liegt und nichts anderes mehr kann als scheißen und sabbern. Ich habe keine Lust auf Reden um den heißen Brei, auf taktische Spielchen oder Rücksicht auf dein greises Haupt. Mir ist egal, ob du lebst oder stirbst, Vermishank. Verstehst du mich? Was ich meine? Gut. Wir machen es so. Ich werde dir sagen, was wir wissen – vergeude nicht meine Zeit damit zu fragen, woher – und du füllst die Lücken. Jedes Mal, wenn du nicht antwortest oder wir hier übereinstimmend zu der Ansicht kommen, dass du lügst, werden entweder Lemuel oder ich dir einen kleinen Muntermacher verpassen.«
    »Du kannst mich nicht foltern, du Bastard …«, stieß Vermishank erstickt röchelnd hervor.
    »Kann ich nicht? Gottschiet, du bist der Remaker. Also – beantworte die Fragen oder stirb!«
    »Möglicherweise beides«, warf Lemuel gleichmütig ein.
    Isaac nickte. »Tja, du irrst dich, Monty. Wir sind durchaus bereit, dich einem hochnotpeinlichen Verhör zu unterziehen. Ich kann dir nur raten zu kooperieren. Antworte prompt und überzeuge mich, dass du nicht lügst. Hier der aktuelle Stand unserer Informationen. Und du solltest auf keinen Fall versäumen, mich zu korrigieren, falls ich etwas Falsches sage.« Er griente boshaft.
    Isaac nahm sich Zeit, die Fakten im Kopf zu ordnen. Während er sprach, zählte er sie an den Fingern ab.
    »Du forschst für die Regierung auf dem Gebiet biologischer Waffen. Dazu gehört auch das Gierfalterprogramm.« Er wartete auf eine Reaktion, Überraschung, dass das Geheimnis keins mehr war, aber Vermishanks Miene blieb ausdruckslos. »Die Gierfalter sind entwischt – die Falter, die du an einen Unterweltmagnaten verscherbelt hast. Sie stehen irgendwie im Zusammenhang mit Dreamshit und mit den – mit den Albträumen, die neuerdings in der Stadt grassieren. Rudgutter glaubte, Benjamin Flex hätte die Hände dabei im Spiel gehabt – fälschlich, übrigens.«
    »So weit, so gut. Was wir jetzt noch gern wüssten, ist Folgendes: Was sind Gierfalter? Inwieweit haben sie mit der Droge zu tun? Wie kann man sie einfangen?«
    Es entstand eine Pause, während Vermishank einen langen Seufzer ausstieß. Seine blutstreifigen Lippen zitterten feucht, doch er brachte ein kleines Lächeln zustande. Lemuel wedelte aufmunternd mit der Pistole.
    »Ah. Gierfalter«, hauchte Vermishank endlich. Er schluckte und massierte sich die Kehle. »Sind sie nicht faszinierend? Eine bemerkenswerte Spezies.«
    »Aber was sind sie?«
    »Wieso? Das habt ihr doch augenscheinlich herausgefunden. Es sind Jäger. Effiziente, brillante Jäger.«
    »Woher stammen sie?«
    »Hm.« Vermishank überlegte einen Moment. Er hob den Blick, als Lemuel langsam und angelegentlich den Lauf der