Perdido Street Station 01 - Die Falter
einige Brosamen hinstreute, waren sie gut beraten, ihm diese Illusion zu lassen.
»Dreamshit. Was genau ist das?«, fragte Isaac.
»Dreamshit?« Vermishank lächelte. Isaac erinnerte sich, wie er ihm in seinem Arbeitszimmer in der Universität diese Frage schon einmal gestellt hatte und der Mann so tat, als sei es unter seiner Würde, das ekle Wort in den Mund zu nehmen.
Diesmal kam es ihm flüssig über die Lippen.
»Ach ja. Dreamshit ist Säuglingsnahrung. Damit füttern die Falter ihre Brut. Sie scheiden es ständig aus, aber in besonders großen Mengen, wenn sie Nachwuchs zu versorgen haben. Sie sind nicht wie andere Falter – sie betreiben eine intensive Brutpflege. Nach allem, was man weiß, sorgen sie aufopfernd für ihre Eier, und die frisch geschlüpften Larven werden gesäugt. Erst als Herangewachsene, wenn sie sich verpuppen, können sie selbstständig Nahrung aufnehmen.«
Derkhan meldete sich zu Wort.
»Soll das heißen, Dreamshit ist die Muttermilch der Gierfalter?«
»Exakt. Die Raupen können noch keine rein psychische Nahrung verdauen, sie muss in quasi-stofflicher Form aufgenommen werden. Die Flüssigkeit, die die Falter ausscheiden, besteht aus destillierten Träumen.«
»Und deshalb hat ein verdammter Drogenboss sie gekauft? Wer war es?« Derkhan verzog angewidert den Mund.
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe nur den Handel vorbereitet. Welcher der Bieter letztlich den Zuschlag erhalten hat, interessiert mich nicht. Die Falter sind nicht einfach zu halten, man muss sie hegen und pflegen, regelmäßig decken lassen und sie melken. Wie Kühe. Man kann sie manipulieren; jemand, der weiß, was er tut, kann sie Milch geben lassen, obwohl keine Brut zu füttern ist. Und natürlich muss die Milch weiterverarbeitet werden. Kein Mensch oder Angehöriger einer anderen intelligenten Rasse könnte sie in ihrer reinen Form zu sich nehmen. Sein Verstand würde explodieren. Bevor man sie als Dreamshit verkaufen kann – was für ein indelikater Name –, wird sie raffiniert und, nun ja, mit diversen Substanzen verschnitten. Was mich vermuten lässt, Isaac, dass die Raupe, die Sie aufgezogen und, nehme ich an, mit Dreamshit gefüttert haben, sich nicht optimal entwickeln konnte. Man muss es sich so vorstellen, als würde man einem Säugling Milch vermischt mit großen Mengen Sägemehl und Teichwasser zu trinken geben.«
»Woher weißt du das alles?«, fauchte Derkhan.
Vermishank schaute sie verständnislos an.
»Woher weißt du, wie viele Spiegel man braucht, um sich zu schützen? Woher weißt du, dass sie die Träume, die sie – fressen, in diese Milch verwandeln? Wie viele Opfer hast du ihnen zum Fraß vorgeworfen?«
Vermishank spitzte leicht irritiert die Lippen.
»Ich bin Wissenschaftler«, erklärte er. »Ich nutze die Mittel, die mir zur Verfügung stehen. Hin und wieder werden Verbrecher zum Tode verurteilt. Die Art ihres Todes bleibt dahingestellt …«
»Schwein! Und was sagst du zu all den anderen Leuten, die die Dealer an sie verfüttern, um die Droge zu erzeugen?«
Isaac unterbrach sie. »Vermishank«, sagte er und schaute seinem Gefangenen zwingend in die Augen. »Wie können wir die Seelen, oder wie immer man es nennen will, zurückholen? Die von den Faltern geraubt wurden?«
»Zurückholen?« Vermishank schien aufrichtig verblüfft zu sein. »Tja …« Er schüttelte den Kopf und legte die Stirn in Falten. »Das kann man nicht.«
»Lüg mich nicht an!«, schrie Isaac. Er dachte an Lublamai.
»Sie sind getrunken worden«, zischte Vermishank, und schlagartig wurde es still. Er wartete.
»Sie sind getrunken worden«, wiederholte er. »Ihre Gedanken, ihre Träume – bewusste und unbewusste – sind im Magen der Falter verdaut worden, haben dazu gedient, die Raupen zu füttern. Hast du Dreamshit probiert, Isaac? Oder einer von euch?« Keiner der Anwesenden, am wenigsten Isaac, antwortete. »Wenn ihr es genommen habt, habt ihr sie konsumiert, die unfreiwilligen Spender, die Beute. Ihr habt ihre metabolisierten Bewusstseine hinuntergeschluckt, und ihr habt sie geträumt. Nichts mehr da, was man retten könnte. Nichts mehr da, um es zurückzuholen.«
Isaac empfand abgrundtiefe Verzweiflung.
Nehmt auch seinen Körper, dachte er. Jabber, seid nicht grausam, lasst mich nicht mit dieser leeren Hülle zurück, die ich nicht sterben lassen kann, die nichts bedeutet …
»Wie kann man die Gierfalter töten?«, fragte er grimmig.
Ein Lächeln entstand auf Vermishanks Gesicht,
Weitere Kostenlose Bücher