Perdido Street Station 01 - Die Falter
blähten den fetten Wanst des Bauwerks, das, aus einem bestimmten Winkel gesehen, in einem bestimmten Licht, Maß zu nehmen schien, und, sein Gewicht auf die Nadel verlagernd, sich rüstete, in den hohen Himmel hinaufzuspringen, den es so beiläufig usurpierte.
Isaacs Weltsicht war nicht von Romantik verklärt. Wenn er sich anschaute, was da am Himmel fleuchte (seine Augen waren vor Anstrengung blutunterlaufen, dahinter summte ein mit neuen Formeln und Fakten zur Überlistung der Schwerkraft aufgeladenes Hirn), sah er keine Flucht zu einem besseren Ort. Fliegen war ein weltliches, profanes Ding: nichts weiter als ein Mittel, von einem Teil New Crobuzons zum anderen zu gelangen.
Ihm kam’s zupass. Er war Wissenschaftler, kein Mystiker.
Isaac lag auf seinem Bett und schaute aus dem Fenster. Sein Blick folgte den fliegenden Punkten, die draußen vorüberzogen. Um ihn herum verteilt, vom Bett auf den Fußboden überfließend, häuften, türmten, stapelten sich Bücher und Broschüren, getippte Notizen und handschriftliche Leporellos. Ernsthafte Monografien stöhnten unter den Elaboraten von Schwarmgeistern; Biologie und Philosophie machten sich auf seinem Schreibtisch gegenseitig den Platz streitig.
Isaac hatte sich wie ein Bluthund einen gewundenen bibliografischen Pfad entlanggeschnüffelt. Einige Werke waren obligatorisch: Über die Schwerkraft, und Theorie der Aviation. Andere behandelten das Thema nur am Rande, wie Die Aerodynamik des Schwarms. Bei wieder anderen handelte es sich lediglich um Kuriositäten, die seine Kollegen mit einem Stirnrunzeln kommentieren würden. Zum Beispiel hatte er noch keine Zeit gefunden, sich Die Deweomer die über den Wolken wohnen und was sie uns lehren können genauer anzusehen.
Er kratzte sich an der Nase und nahm mittels Strohhalm einen Schluck aus dem Bierglas, das er auf seiner Brust balancierte.
Erst zwei Tage Beschäftigung mit Yaghareks Auftrag, und schon hatte die Stadt für ihn ein völlig anderes Gesicht. Er fragte sich, ob er sie je wieder sehen würde wie vorher.
Die Schriften, auf denen er lag, drückten ihn. Er zog eine Sammlung obskurer Skripte hervor und einen Packen Heliotypen von Teafortwo. Letztere hielt er eine nach der anderen hoch und studierte den komplexen Aufbau der Wyrmen-Muskulatur, die Teafortwo für ihn zur Schau gestellt hatte.
Hoffentlich läuft mir die Zeit nicht davon, dachte Isaac.
Er hatte den ganzen Tag lang gelesen und Notizen gemacht und nur höflich gebrummt, wenn David oder Lublamai ihm ihr Kommen und Gehen hinaufriefen oder Aufforderungen zum Mittagessen, die ungewürdigt verhallten. Lublamai stellte ihm schließlich einen Imbiss aus Brot und Käse und Pfefferschoten hin, den er geistesabwesend verzehrte. So, wie der Tag von Stunde zu Stunde wärmer wurde und zudem die kleinen Dampfkessel in all seinen Apparaturen die Luft aufheizten, hatte er sich Schicht um Schicht zu viel gewordener Kleidungsstücke entledigt. Hemden und Schals lagen rings um den Schreibtisch verstreut.
Isaac wartete darauf, dass ihm Material geliefert wurde. Gleich zu Beginn seiner Recherchen hatte er festgestellt, dass ausgerechnet auf dem Feld, welches es für diesen jüngsten Auftrag zu beackern galt, eine riesige Lücke in seinem Wissensspektrum klaffte. Von allen Arkana war Biologie sein schwächstes. Er fühlte sich durchaus in seinem Element, was Levitation anging oder kontergeotropoische Thaumaturgie, und erst recht bei seinem gehätschelten Steckenpferd, der Vereinheitlichten Feldtheorie, aber die Aufnahmen von Teafortwo hatten ihm bewusst gemacht, wie wenig er von der Biomechanik einfachen Fliegens verstand.
Was ich brauche, sind ein paar tote Wyrmen – nein, ein lebender, für Experimente …, war es ihm durch den Kopf gegangen, als er in der vergangenen Nacht über den Heliotypen brütete. Nein, einen toten zum Sezieren und einen lebenden, um seine Flügelbewegungen zu studieren.
Die unernste Idee nahm, je später die Stunde, desto konkretere Form an. Er hatte noch eine Weile an seinem Schreibtisch gesessen und nachgedacht, bevor er schließlich aufstand und zu einem Ausflug in das nächtliche Brock Marsh das Haus verließ.
Die übelst beleumdete Schänke zwischen Tar und Canker kauerte im Schatten einer großen Palgolak-Kirche, ein paar feuchte Gassen zurück von der Danechis Bridge, die Brock Marsh mit Bonetown verband.
Selbstverständlich waren die Bewohner von Brock Marsh in der Mehrzahl Bäcker oder Straßenkehrer oder
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