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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
    Ged, wie eine Kröte vor dem niedrigen Tisch kauernd, wiegte sich vor und zurück, die breite, lange Zunge schlackerte in seinem großen, schlaffen Mund hin und her.
    »Sie tun mir einfach Leid«, schnaufte er. »Sie sind so – intensiv.«
    Ged stand allgemein in dem Ruf, für einen Vodyanoi schon fast unnatürlich humorvoll zu sein. Er hatte nichts von der griesgrämigen Bissigkeit dieser Spezies.
    »Wie dem auch sei«, fuhr er fort, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, »ich finde die Mechniks nicht halb so unerträglich wie manch andere Sekte. Sie sind natürlich nicht halb so stringent, wie sie glauben, aber wenigstens nehmen sie die Dinge ernst. Und sie gehören nicht zu den was weiß ich – zu den Kompletoriern oder den Deus-Loci-Jüngern oder so.«
     
    Palgolak war ein Gott des Wissens. Er wurde entweder als fettleibiger Mensch dargestellt, lesend in einer Badewanne, oder als schlanker Vodyanoi bei der gleichen Tätigkeit – oder als wundersamerweise beides zugleich. Seine Gemeinde bestand etwa zu gleichen Teilen aus Menschen und Vodyanoi. Er war eine liebenswürdige, angenehme Gottheit, ein Weiser, dessen Existenz einzig dem Sammeln, Ordnen und Verbreiten von Informationen gewidmet war.
    Isaac verehrte keine Götter. Er glaubte nicht an die Allwissenheit, erst recht nicht an die Allmacht, die man einigen von ihnen zuschrieb, oder auch nur an die Existenz der meisten. Gewisslich gab es Wesenheiten, die verschiedene Daseinsebenen bewohnten, und bestimmt verfügten einige davon über große Macht – nach menschlichen Begriffen. Sie allerdings anzubeten war in seinen Augen ein ziemlich hirnrissiger Zeitvertreib. Doch sogar er hatte eine gewisse Schwäche für Palgolak und hoffte, der fette Bastard möge tatsächlich existieren, in dieser oder jener Form. Ihm gefiel die Vorstellung einer interaspektiven Entität, die in unstillbarer Wissbegier und einer Badewanne durch Welten und Sphären tourte und alles, was ihr vor Augen kam, mit interessiertem Murmeln kommentierte.
    Palgolaks Bibliothek war der der Universität von New Crobuzon mindestens ebenbürtig. Bücher auszuleihen war nicht erlaubt, dafür hatten Leser zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt und nur sehr, sehr wenige Schriften blieben der Allgemeinheit vorenthalten. Die Palgolaki waren Proselytenmacher und glaubten, alles, was ein Jünger weiß, wüsste sofort auch Palgolak, deshalb war Lesen für sie Gottesdienst. Doch ihre Mission galt nur in zweiter Linie dem Ruhme Palgolaks und zuvörderst der Mehrung des Wissens, und ihr Gelübde verpflichtete sie, jedem Einlass zu gewähren, der in ihrem Bücherbestand zu studieren wünschte.
    Genau über diesen Umstand pflegte Ged zurückhaltend Klage zu führen. Die Palgolak-Bibliothek in New Crobuzon besaß die vollständigste Sammlung religiöser Schriften in ganz Bas-Lag und war eine Pilgerstätte für Anhänger aller möglichen Glaubensrichtungen. Sie bevölkerten die Zipfel von Brock Marsh und Spit Hearth – sämtliche theistischen Völker der Welt, in Kutten und Masken, ausstaffiert mit Peitschen, Halsbändern, Vergrößerungsgläsern, der ganzen Bandbreite religiöser Gebrauchsgegenstände.
    Manche Gläubige waren alles andere als angenehme Zeitgenossen. Die vehement fremdenfeindlichen Deus-Loci-Jünger zum Beispiel gewannen in der Stadt immer mehr Anhänger, und Ged betrachtete es als seine unglücklicherweise heilige Pflicht, diesen Rassisten seine Dienste zur Verfügung zu stellen, die ihn »Kröte« und »Flussschwein« titulierten, während sie Passagen aus ihren Texten kopierten.
    Verglichen mit ihnen waren die egalitären Gottmechniker eine harmlose Sekte, auch wenn sie ihren Glauben an die Mechanität des Einen Wahren Gottes laut und nachdrücklich verkündeten.
    Isaac und Ged hatten im Lauf der Jahre viele lange Debatten geführt, meist theosophischer Natur, aber auch über Literatur und Kunst und Politik. Isaac hatte Respekt vor dem freundlichen Vodyanoi, der seiner heiligen Pflicht des Lesens mit Eifer oblag und auf allen Gebieten, denen Isaac seine berüchtigten Stippvisiten abstattete, dementsprechend gut beschlagen war. Während der Priester sich zu Beginn eines Gesprächs demütiger Zurückhaltung befleißigte, was seine persönliche Meinung zu einem Thema anging – »Allein Palgolak steht es zu, die Schriften auszulegen«, pflegte er fromm zu erklären –, erfuhr nach zwei oder drei Gläsern Lebenswasser sein religiöser

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