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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Erlösung aus dieser Einsamkeit hoffen darf. Dass ich zu keinem anderen Lebewesen in meiner Sprache sprechen werde.
    Ich habe mir angewöhnt, nach Einbruch der Dunkelheit auf Nahrungssuche zu gehen, wenn die Stadt ruhig wird und sich nach innen kehrt. Ich wandere als Eindringling durch ihren solipsistischen Traum. Bei Dunkelheit bin ich hierhergekommen und ich lebe hier in der Dunkelheit. Das grelle Licht der Wüste ist wie eine Mär, die ich vor langer Zeit hörte. Ich werde zu einem Geschöpf der Nacht. Ich glaube nicht mehr, was ich einst glaubte.
    Ich wandere auf Straßen, die sich schwarzen Flüssen gleich durch Schluchten aus Ziegelstein winden. Die Mondin und ihre kleinen, hellen Töchter leuchten matt. Kalte Winde strömen wie Melasse von den Höhen herab und verstopfen die nächtliche Stadt mit unstetem Treibgut. Ich teile mir die Straßen mit ziellos huschenden Papierfetzen und kleinen Staubteufeln, mit Sandfahnen, die wie unstete Diebe unter Türen und Dachgesimsen hindurchwehen.
    Ich erinnere mich an die Wüstenwinde: den Khamsin, der das Land verzehrt wie rauchloses Feuer; den Föhm, der aus heißen Bergschluchten hervorbricht wie aus einem Hinterhalt; den schlauen Simoom, der sich durch lederne Sandschirme und Bibliothekstüren zu schleichen versteht.
    Die Winde dieser Stadt sind melancholischer gestimmt. Sie streunen umher wie verlorene Seelen, spähen durch trübe, von Gaslicht erhellte Fenster. Wir sind Brüder, die Stadtwinde und ich. Wir wandern mitsammen.
    Was wir sehen … Schlafende Bettler, um Wärme aneinander geschmiegt wie unvernünftige Tiere, durch ihre Armut auf eine niedrigere Stufe der Evolutionsleiter hinabgesunken.
    Wir sehen die städtischen Nachtwachen, die Leichen aus den Flüssen angeln. Schwarz uniformierte Stadtsoldaten ziehen mit Haken und Stangen aufgedunsene Leiber ans Ufer, augenlos, Blut zu Gallert erstarrt in den leeren Höhlen.
    Wir sehen, wie mutierte Kreaturen aus Gullys in kaltes, fahles Sternenlicht kriechen und verstohlen miteinander flüsternd Karten und Nachrichten in den Gossenkot zeichnen.
    Ich habe, den Wind zur Seite, dagesessen und furchtbare Dinge geschaut, unbeschreibliche Dinge.
     
    Meine Narben und Knochenstümpfe jucken. Ich vergesse das Gewicht, die stolze Weite, die Bewegung der Schwingen. Wäre ich nicht Garuda, würde ich beten. Aber ich werde mich nicht beugen vor hochmütigen Göttern.
    Manchmal zieht es mich zu dem Lagerschuppen, wo Grimnebulin liest und schreibt und forscht, und ich steige leise auf das Dach hinauf, und ich lege mich mit dem Rücken auf die Schindeln. Die Vorstellung all seiner Gedankenenergie, die sich nur mit dem Fliegen beschäftigt, meinem Fliegen, meiner Befreiung, lindert das Jucken in meinem gepeinigten Rücken. Der Wind zerrt hier oben heftiger an mir, er fühlt sich verraten. Er weiß, wenn ich geheilt bin, wird er seinen nächtlichen Begleiter durch den steinernen Irrgarten New Crobuzon verlieren. Deshalb fällt er über mich her, wenn ich dort oben liege, droht mich von meiner Warte in den breiten, stinkenden Fluss zu stoßen, plustert mein Gefieder, launischer, eifersüchtiger Wind, der mich warnt, ihn nicht zu verlassen, aber ich kralle mich fest und lasse die von Grimnebulins Geist aufsteigenden heilsamen Schwingungen durch die morschen Schindeln in mein verstümmeltes Fleisch strömen.
    Ich schlafe in alten Arkaden unter den dröhnenden Gleisen.
    Ich esse, was ich an organischen Dingen finde, die mich nicht töten werden.
    Ich verberge mich wie ein Parasit in den Hautfalten dieser greisen Megalopole, die schnarcht und furzt und brummt, die sich kratzt und mästet und vor Alter warzig und reizbar wird.
    Manchmal erklimme ich die hohen, schwankenden Türme, die Stachelschweinborsten gleich aus der Schwarte der Stadt ragen. Oben, in der dünneren Luft, verlieren die Winde die melancholische Neugier, der sie auf Straßenebene frönen, ihre Souterrain-Grämlichkeit. Herausgefordert von Türmen, die sich über den Myriaden künstlicher Lichter erheben – grellweiß von Karbidlampen, rußgedämpftes Rot von brennendem Fett, weiches Talgzwinkern, hysterisch zuckende Gasflammen, alle anarchischen Wächter gegen die Dunkelheit – ermuntern sich die Winde und spielen.
    Ich kann meine Fänge in den Dachkranz eines Gebäudes krallen und die Arme ausbreiten, und spüre die Knüffe und Püffe übermütiger Luft, und dann schließe ich die Augen und erinnere mich, einen Moment lang, wie es ist, zu fliegen.

 
     
     
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