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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Prostituierte oder Ausübende sonstiger, durchaus ehrenwerter Berufe, die aller Wahrscheinlichkeit nach in ihrem ganzen Leben nie eine magische Beschwörungsformel aussprechen oder in ein Reagenzglas schauen würden. Gleichermaßen war auch die Einwohnerschaft von Bonetown im Durchschnitt nicht krimineller veranlagt als die übrige Bevölkerung New Crobuzons. Nichtsdestoweniger galt Brock Marsh als das Gelehrtenviertel und Bonetown als Brutstätte des Verbrechens. Und an dem Berührungspunkt der beiden Strömungen – esoterisch contra lichtscheu, romantisiert und manchmal gefährlich – lag das Der Mondfrau Zwei Töchter.
    Über der Tür zeigte das Schild die Mondscheibe und ihre beiden kleinen Begleiter in Gestalt von zwei hübschen, etwas liederlich wirkenden Frauenzimmern. Zusammen mit dem tiefroten Anstrich verlieh das dem Haus eine verruchte, unwiderstehliche Anziehungskraft. Die Klientel bestand aus den wagemutigeren Elementen der Boheme von New Crobuzon: Künstler, Diebe, Freigeister, Junkies und Spitzel verlustierten sich unter den scharfen Augen der Wirtin, Red Kate.
    Kates Spitzname war ein Hinweis auf ihr rotblondes Haar sowie, fand Isaac, eine vernichtende Aussage über die klamme Kreativität ihrer Gäste. Sie war mit beachtlicher Körperkraft begabt und mit einem untrüglichen Blick dafür, wen man bestechen sollte, wen hinauswerfen, wen Mores lehren und wen mit Freibier traktieren. Aufgrund ihrer klugen Politik (unterstützt, mutmaßte Isaac, von etwas subtiler thaumaturgischer Blendwerkerei) blieb sie verschont von den drastischen Revierkämpfen diverser Schutzgeldbanden im Viertel. Auch Razzien der Miliz in Kates Etablissement waren selten und nie besonders gründlich. Ihr Bier war gut. Sie fragte nicht, was in vertraulicher Runde an Ecktischen besprochen wurde.
    Kate hatte Isaac, als er hereinkam, kurz zugewinkt, ein Gruß, den er erwiderte, während er sich in dem verqualmten Schankraum umschaute. Die Person, die er zu treffen gehofft hatte, war nicht unter den Gästen. Er ging zur Theke.
    »Kate«, überschrie er das Stimmengewirr, »Lemuel heute schon gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf und reichte ihm unaufgefordert ein Kingpin-Bier. Isaac zahlte, drehte sich um und musterte, am Tresen lehnend, das abendliche Getriebe.
    Er war enttäuscht. Der Mondfrau Zwei Töchter war für Lemuel Girrvogel der Ort, der einem Büro am nächsten kam. Man konnte sich gewöhnlich darauf verlassen, ihn allabendlich hier anzutreffen. Isaac nahm an, dass irgendwelche zwielichtigen Geschäfte ihn fern hielten. Also spazierte der Wissenschaftler ziellos zwischen den Tischen herum und hielt nach Bekannten Ausschau.
    Drüben in der Ecke, kaum zu übersehen in der gelben Kutte seines Ordens und gutherzig lächelnd einem Gesprächspartner zugewandt, entdeckte er Gedrecsechet, den Kustos der Palgolak-Kirche. Isaacs Stimmung besserte sich im Nu; er ruderte durch die Menge zu dem Tisch hinüber.
    Beim Näherkommen stellte er belustigt fest, dass die Unterarme der bitterernst dreinblickenden jungen Frau, die Ged gegenübersaß, mit den verschränkten Zahnrädern der Gottmechnik-Apophanten tätowiert waren, der stets von missionarischem Eifer Beseelten.
    »… wenn ihr euch der Welt und Gott mit einem Jota der Stringenz und Analyse nähern würdet, auf die ihr so stolz seid, würdet ihr erkennen, dass euer sinnleerer Sentientomorphismus schlichtweg unhaltbar ist!«
    Ged grinste das picklige Mädchen an und öffnete den Mund, um zu antworten. Isaac kam ihm zuvor.
    »Entschuldigt, dass ich euer Gespräch unterbreche. Ich wollte dir nur sagen, Ritzel, oder wie immer du heißen magst…«
    Die Mechnik wollte protestieren, doch Isaac schnitt ihr das Wort ab.
    »Tacet! Ich sag’s dir unmissverständlich – troll dich! Und deine Stringenz kannst du mitnehmen. Ged und ich haben miteinander zu reden.«
    Ged gluckste. Seine Gesprächspartnerin schluckte und gab sich Mühe, ihre Indignation aufrechtzuerhalten, doch Isaacs Masse und seine muntere Kompromisslosigkeit wirkten einschüchternd. Sie traf Anstalten für einen geordneten Rückzug.
    Als sie aufstand, öffnete sie den Mund zu einem beißenden Aperçu, den sie sich zurechtgelegt hatte, doch Isaac ließ sie nicht zu Wort kommen.
    »Sprich, und ich schlage dir die Zähne ein«, warnte er liebenswürdig.
    Die Mechnik klappte den Mund zu und stolzierte davon; sobald sie außer Sicht war, brachen beide, Isaac und Ged, in Gelächter aus.
    »Weshalb gibst du dich mit denen ab?« Isaac

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