Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
hinaus. Isaac schaute ihm aus schmalen Augen hinterher, studierte die rollende Bewegung der Flügel, bestaunte, wie diese den Geschöpfen der Luft vorbehaltenen starken Muskeln etwa achtzig Pfund Fleisch und Knochen durch den Himmel wuchteten.
    Nachdem Teafortwo außer Sicht war, setzte Isaac sich hin und schrieb eine weitere Liste, von Hand diesmal, ein hastiges Gekritzel.
    Untersuchung, setzte er oben auf das Blatt und darunter: Physik; Gravitation; Kräfte/Ebenen/Vektoren; EINHEITSFELD. Er ließ etwas Zwischenraum und schrieb: Flug i) natürlich ii) thaumaturgisch iii) chymisch-physikalisch iv) kombiniert v) sonstige.
    Schließlich, unterstrichen und in Großbuchstaben, schrieb er: PHYSIOGNOMIE DES FLIEGENS.
    Er lehnte sich zurück, nicht entspannt, sondern bereit aufzuspringen. Geistesabwesend summte er vor sich hin. In seinem Kopf sprühte ein synaptisches Feuerwerk.
    Er bückte sich nach einem der Bücher, die er unter dem Bett hervorgezogen hatte, ein zentnerschwerer alter Wälzer. Er ließ ihn platt auf den Schreibtisch fallen und genoss das satte Geräusch. Der Deckel trug in unecht wirkender Goldschrift den aufgeprägten Titel:
    Bestiarium der potentiell mit Vernunft Begabten: Die intelligenten Spezies von Bas-Lag.
    Isaac streichelte den Einband von Shacrestialchits Klassiker, vor hundert Jahren aus dem Lubbock Vodyanoi übersetzt und überarbeitet von Benkerby Carnadine, Kaufmann, Weltreisender und Gelehrter aus New Crobuzon. Immer wieder neu aufgelegt und kopiert, doch nach wie vor unübertroffen. Isaac legte den Finger auf das G des Daumenregisters und blätterte, bis er zu dem prachtvollen Aquarell der Vogelmenschen des Cymek kam, das den Essay über die Garuda einleitete.
    Als die Dunkelheit über die Seiten kroch, entzündete er die Gaslampe auf dem Schreibtisch. Draußen in der Abendkühle, ein paar Grad nach Osten hin, schlug Teafortwo angestrengt mit den Flügeln und mühte sich redlich mit dem schweren, baumelnden Büchersack, den er in beiden Händen schleppte. Er konnte das helle, ruhige Licht von Isaacs Gaslampe sehen und dicht darunter den unsteten gelblichen Schein der Straßenlaterne. Nachtinsekten umkreisten sie in Schwärmen, fanden vereinzelt durch einen Riss im Glas den Weg nach innen und brachten sich mit einem kleinen Puff selbst als Brandopfer dar. Ihre verkohlten Überreste bedeckten als Staubschicht den Boden des Zylinders.
    Die Lampe war ein Signal, ein Leuchtfeuer in der ungastlichen Stadt, wies dem Wyrmen den Weg über den Fluss und verhieß Zuflucht vor der beutehungrigen Nacht.
     
    In dieser Stadt sind jene, die aussehen wie ich, nicht meine Brüder, sondern meine Feinde. Einmal, müde und verängstigt und der Hilfe bedürftig, erlag ich der Illusion.
    Auf der Suche nach Nahrung und Wärme und Zuflucht vor den Blicken, die mich treffen, wann immer ich einen Fuß auf die Straße setzte, sah ich einen halb flüggen Wildfang, der leichtfüßig eine schmale Gasse zwischen heruntergekommenen Häusern entlanglief. Fast wäre mein Herz zersprungen. Ich rief ihn an, diesen Spross meines eigenen Volkes, in der Sprache der Wüste – und er schaute sich nach mir um und spannte die Flügel aus und öffnete den Schnabel und lachte gellend.
    Er beschimpfte mich abscheulich krächzend. Seine Kehle mühte sich ab mit den menschlichen Lauten. Ich sprach zu ihm, doch er wollte mich nicht verstehen. Er schrie etwas über die Schulter, und eine Horde menschlicher Straßenkinder quoll aus Löchern und Mauerrissen gleich boshaften Kobolden. Er beleidigte mich mit Gebärden, dieser grüne Nestling, und überschüttete mich mit Flüchen in solchem Schwall, dass ich sie nicht verstehen konnte. Und diese anderen, seine Kumpane, diese schmutzstarrende Bagage, diese gefährlichen, verrohten kleinen Kreaturen mit ihren ausgemergelten Gesichtern und zerrissenen Hosen, besudelt mit Rotz und Schleim und Gassendreck, die Mädchen in fleckigen Kitteln und die Knaben in zu großen Jacken, klaubten Pflastersteine auf und bewarfen mich damit wo ich lag, im Dunkel eines vermodernden Türstocks.
    Und der kleine Unart, den ich nicht Garuda nennen will, der nichts war als ein Mensch mit entehrten Schwingen und Gefieder, mein kleiner, verlorener Nicht-Bruder, warf Steine mit seinen Kumpanen und lachte und zerschmetterte Fenster hinter meinem Kopf und gab mir Schimpfnamen.
    Ich erkannte, während Steine mein Kissen aus rissiger Farbe zerspellten, dass ich allein war.
     
    Und so weiß ich nun, dass ich nicht auf

Weitere Kostenlose Bücher