Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
von Straßenlaternen und dem Widerschein des Abendrots, das sich im Fluss spiegelte.
    Isaac weidete sich an dem grandiosen Schauspiel. Er stieß seufzend den Atem aus, wie angesichts eines großen Kunstwerks. Einem Impuls folgend, schaute er sich nach einer Kastenkamera um, dann aber war er’s zufrieden, einfach nur zuzuschauen.
    Tausend verschiedene Silhouetten wogten vor und über dem Lagerhaus, quirlten durcheinander, ziellos, spürten dann die Strömungen der Luft und strebten auseinander. Manche wurden nolens volens davongetragen. Andere nutzten die launischen Winde wie die Sprossen einer Leiter, stiegen hoch empor und zogen Kreise über der Stadt. Der Burgfriede der ersten allgemeinen Konfusion zerbrach. Aspis pflügten durch Insektenwolken, schnappten links und rechts mit den kleinen Löwenmäulchen nach fetten Knusperhappen. Falken schlugen Tauben und Dohlen und Kanarienvögel. Libellenschlangen ringelten sich in Aufwinden und haschten, was ihnen zu nahe kam.
    Die Flugweisen der befreiten Tiere waren ebenso charakteristisch wie ihre Silhouette. Ein dunkler Fleck huschte ziellos durch den Himmel, taumelte einer Straßenlaterne entgegen, unwiderstehlich angezogen von ihrem Licht: eine Auenmotte. Dort stieg ein schwarzer Schatten in majestätischer Einfachheit den Sternen entgegen: ein Raubvogel. Hier öffnete sich scheinbar eine vom Wind getragene Blüte, zog sich ruckartig zusammen und schoss auf einem Fürzchen tintig verfärbter Luft davon: einer der kleinen Windpolypen.
    Die Leiber der Erschöpften und Sterbenden regneten herab und fleckten das Straßenpflaster mit ihrem Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Mit leisem Platschen empfing der Canker seine Opfer. Doch es gab mehr Leben als Tod. Während der nächsten paar Tage würde der Himmel über New Crobuzon abwechslungsreicher sein.
    Isaac seufzte beglückt, dann schaute er sich um, was noch zu tun wäre, und lief zu den Schachteln und Kästen mit Kokons und Eiern und Larven. Nach und nach trug er sie zum Fenster, nur die große, bunte, sterbende Raupe ließ er zurück.
    Er nahm die Eier und pfefferte sie hinter den entfliehenden Gefangenen her, danach entledigte er sich der Raupen, die sich windend und kringelnd nach unten fielen. Er schüttelte Pappschachteln, in denen zerbrechliche Puppen klapperten, und kippte sie aus dem Fenster. Ihnen folgte der Inhalt des Aquariums mit den wasserlebenden Larven. Für diese unfertigen Geschöpfe war es eine grausame Erlösung – wenige Sekunden Freiheit und brausende Luft.
    Endlich, als die letzten Krumen von dem ausgeschüttelten Tischtuch der Wissenschaft in der Tiefe verschwunden waren, schloss Isaac das Fenster. Er drehte sich um und betrachtete sein Reich. Ein paar zu spät Entschlossene kreisten noch um die Lampen. Eine Aspis, ein paar Motten oder Schmetterlinge und einige kleine Vögel. Meinetwegen, dachte er. Entweder finden sie irgendeinen Ausgang, oder ich warte, bis sie verhungern, und fege sie dann hinaus.
    Der Boden vor dem Fenster war übersät mit den Kümmerlingen, den Schwachen, die nicht mehr genug Kraft gehabt hatten, in die Freiheit zu fliegen. Einige waren bereits tot. Die meisten krauchten mit matten Bewegungen hierhin und dorthin. Isaac machte sich an den Kehraus.
    »Du hast das Glück, dass du a) nett anzusehen bist und b) einigermaßen interessant«, erklärte er währenddessen der großen, fressunlustigen Raupe. »Nein, nein, du brauchst mir nicht zu danken. Ich bin eben ein Philanthrop und kann nicht anders. Allerdings kann ich nicht begreifen, weshalb du partout nicht fressen willst. Du bist mein Projekt«, – er wuppte eine Kehrschaufel voller schwächlich zappelnder Insekten in die gefräßige Dunkelheit – »und auch, wenn ich glaube, dass du die Nacht nicht überstehst, du hast mein Mitleid erregt und meine Neugier, und ich mache beim zwiegeschwänzten Seibeiuns noch einen letzten Versuch, dich durchzubringen!«
     
    Ein dröhnender Knall ließ ihn zusammenfahren. Die Eingangstür war aufgestoßen worden.
    »Grimnebulin!«
    Es war Yagharek. Der Garuda stand unten im Halbdunkel, breitbeinig, den Umhang vor der Brust zusammengezogen. Die hinter seinem Kopf aufragenden Flügel schwankten hin und her und sahen mehr denn je aus wie Attrappen. Er hatte sie nicht richtig festgeschnallt. Isaac beugte sich über das Geländer.
    »Yagharek?«
    »Hast du mich aufgegeben, Grimnebulin?« Es war der schrille Aufschrei eines gemarterten Vogels, kaum verständlich. Isaac machte eine

Weitere Kostenlose Bücher