Perdido Street Station 02 - Der Weber
Isaac, grell aus dem Dunkel gerissen, ein Stück der zerklüfteten Ziegelröhre und die stumpf glänzenden Blechleiber der Konstrukte. Dann gingen die Lichter wieder aus, und Isaac musste sich mit Hilfe der schnell verblassenden Nachbilder auf seiner Netzhaut orientieren.
In der aphotischen Dunkelheit nahm das Auge selbst die minimalste Aufhellung wahr. Als er vor sich grau die Umrisse des Tunnels erkennen konnte, wusste Isaac, dass sich irgendwo dort eine Lichtquelle befand. Etwas berührte seine Brust. Ihm blieb fast das Herz stehen, dann identifizierte er die Zinnfinger und die schimmernden Glasaugen eines Konstrukts. Isaac zischte Shadrach über die Schulter zu, er solle anhalten.
Das Konstrukt gestikulierte mit ausholenden, eckigen Bewegungen. Es zeigte nach vorn, zu seinen beiden Kameraden, die am Ende des sichtbaren Tunnelabschnitts hockten, wo er einen scharfen Knick nach oben machte.
Isaac bedeutete Shadrach zu warten, dann schob er sich zentimeterweise vorwärts. Gletscherkalte Angst breitete sich vom Magen her durch seinen ganzen Körper aus. Er bemühte sich, gleichmäßig und tief zu atmen, und kroch weiter, bis er sich mit einem Kribbeln wie von tausend Nadelstichen in einen Teich diffuser Helligkeit hinaustastete.
Der Gang endete an einer anderthalb Meter hohen Mauer vor, links und rechts von ihm. Hinter ihm die Wand mit der Tunnelöffnung. Isaac legte den Kopf in den Nacken und sah hoch über sich eine Zimmerdecke. Ein pestilenzartiger Gestank sickerte in den gemauerten Schacht. Isaac zog eine Grimasse.
Er kauerte in einer in den Estrich eines Zimmers eingelassenen Grube. Sehen konnte er nichts, doch er hörte schwache Geräusche. Ein leises Rascheln, wie vom Wind getriebenes Papier. Ein zähes, wisperndes Schmatzen, wie von klebrigen Fingern, die sich berühren und trennen.
Isaac schluckte dreimal und sprach sich flüsternd selbst Mut zu, spornte sich an. Er drehte sich um, sodass er der vorderen Mauer und dem Zimmer dahinter den Rücken zuwandte. Unmittelbar hinter der Tunnelöffnung sah er den hellen Fleck von Shadrachs Gesicht, der auf das Zeichen wartete nachzukommen. Isaac schaute konzentriert in seine Spiegel. Er ruckte kurz an dem Schlauch, der sich von seinem Helm in den Tunnel schlängelte, unter Shadrachs Körper hindurch in der Dunkelheit entschwand und seine verräterischen Gedanken erst in sicherer Entfernung entweichen ließ.
Isaac richtete sich auf, sehr, sehr langsam, dabei starrte er mit wütender Verbissenheit in den Spiegel, als wollte er sich irgendeiner ihn beobachtenden höheren Macht beweisen: Siehst du? Ich schaue mich nicht um, und ich werde mich nicht umschauen, da kannst du wetten!
Der obere Teil seines Kopfes schob sich über den Rand der Grube und ins Licht. Der widerwärtige Gestank wurde stärker.
Isaac spürte die Angst wie eine Faust im Nacken. Kalter Schweiß lag klamm auf seiner Haut.
Isaac neigte den Kopf ein wenig zur Seite und richtete sich noch etwas weiter auf, bis er in dem bräunlichen Licht, das sich durch ein einziges, winziges, schmutzblindes Fenster kämpfte, den Raum hinter sich überblicken konnte.
Es war ein schmales, schlauchförmiges Zimmer, etwa drei mal sieben Meter. Staubig und seit langem unbewohnt, ohne sichtbaren Ein- oder Ausgang, ohne Bodenklappen oder Türen.
Isaac vergaß zu atmen. Am hintersten Ende des Raums, aufgerichtet und in seine Richtung lauernd, als hätte er ihn bemerkt, saß hinter dem Geschränk seiner vielartigen mörderischen Arme und Gliedmaßen, die Schwingen in träger Drohgebärde halb geöffnet, ein Gierfalter.
Isaac brauchte einen Moment, bis er merkte, dass er kein Wimmern ausgestoßen hatte. Und wieder erst, nachdem er ein paar Sekunden lang in die mit wedelnden Fühlern ausgestatteten Augengruben gestarrt hatte, begriff er, dass er nicht bemerkt worden war.
Er atmete aus, vollkommen lautlos, dann wandte er millimeterweise den Kopf, um sich den Rest des Zimmers anzusehen.
Bei dem Anblick, der sich ihm bot, musste er alle Beherrschung aufbieten, um sich nicht ein entsetztes Stöhnen entschlüpfen zu lassen.
Der Boden des ganzen langen Raums war übersät mit Toten. Sie waren der Quell dieses unaussprechlichen Gestanks. Isaac schaute zur Seite – und hielt sich die Hand vor den Mund, als er dicht neben sich ein verwesendes Kaktuskind liegen sah; das faulende Fleisch löste sich von faserigen Hartholzknochen. Ein kleines Stück weiter weg entdeckte er den stinkenden Kadaver eines Menschen und dahinter
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