Perfekt
schlief unruhig, und ihre Träume waren voller gesichtsloser Schemen, die sich in dunklen Eingängen versteckten, ihr Warnungen zuriefen und gleichzeitig Drohungen ausstießen.
Die Sonne war bereits aufgegangen, als Julie endlich aus ihren Alpträumen erwachte. Da sie Angst davor hatte, die Augen erneut zu schließen, stand sie auf, ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. Sie trank es, ohne auf den Geschmack zu achten, stützte sich dann mit den Händen auf die Küchentheke und ließ den Kopf hängen. »Ach, Zack«, flüsterte sie. »Was tust du nur? Ruf mich bitte an und sag, daß es lauter Lügen sind, die sie über dich verbreiten. Bitte ... laß nicht zu, daß sie mich so quälen.«
Sie entschloß sich, in die Kirche zu gehen, und verbrachte den restlichen Tag in der Schule, wo sie eine Menge Schreibarbeiten erledigte - und darauf hoffte, daß Zack sie, wenn er hörte, was in Los Angeles passiert war, vielleicht anrufen und alles erklären würde. Ganz bestimmt würde er wissen, daß sie in der Schule auf seinen Anruf wartete, selbst an einem Sonntag, wenn etwas derart Wichtiges passiert war.
57
»Julie, alles in Ordnung, Liebes?« Flossie Eldridge klopfte an die Windschutzscheibe ihres Autos. »Sie sitzen jetzt schon fast eine halbe Stunde hier draußen in der Dunkelheit und lassen den Motor laufen.«
Julie hob ihren Blick zu Flossies rundem, besorgtem Gesicht, griff nach dem Zündschlüssel, stellte den Motor ab und stieg hastig aus. »Es geht mir gut, Miß Flossie, wirklich - ich habe nur über etwas nachgedacht, ein Problem in der Schule, und darüber habe ich ganz vergessen, wo ich bin und wie spät es ist.«
Flossie zitterte in der frostig-klaren Nacht und hüllte sich enger in ihren Mantel. »Sie werden sich den Tod holen, wenn Sie noch länger hier draußen bleiben!«
Beschämt darüber, daß sie ihre Umgebung vollkommen vergessen hatte, holte Julie ihre Aktenmappe vom Rücksitz und versuchte, die ältliche Nachbarin anzulächeln. »Ich hatte die Autoheizung laufen«, sagte sie, obwohl sie sich nicht einmal mehr dessen sicher war.
»Nein, das hatten Sie nicht«, sagte Flossie. »An Ihrer Windschutzscheibe hat sich Reif gebildet, sehen Sie. Sie arbeiten zuviel, Julie, und noch dazu an einem Sonntag!« fuhr sie mit einem Blick auf Julies Aktenmappe fort.
»Es gibt immer eine Menge zu tun«, sagte Julie. »Kommen Sie, gehen wir zurück. Ich begleite Sie zu Ihrer Haustür«, fügte sie hinzu und hakte sich bei Miß Flossie ein. Die beiden gingen langsam über den Rasen, der ihre beiden Häuser trennte. »Es ist so dunkel ohne Mond, und ich möchte nicht, daß Sie über irgend etwas stolpern.«
»Julie«, sagte Miß Flossie zögernd, als sie in den Lichtkreis traten, der von der Veranda auf das Gras fiel. »Geht es Ihnen wirklich gut? Sie sehen recht mitgenommen aus. Sie können es mir ruhig sagen. Ich werde Ada nichts weitererzählen. Sie trauern diesem Zachary Benedict nach, nicht wahr?«
Der Zustand lähmender Geistesabwesenheit, der Julie den ganzen Tag über geplagt hatte, verschwand in dem Augenblick, in dem Flossie Zacks Namen aussprach. »Wie kommen Sie denn auf diese Idee?« erkundigte sie sich mit einem Lachen, das in ihren eigenen Ohren gekünstelt und unecht klang.
»Weil Sie«, sagte Miß Flossie, als liege die Antwort auf der Hand, »vor Ihrem Haus in Ihrem Auto saßen und ins Leere gestarrt haben. Als ich noch jung war und Her... -und jemandem nachtrauerte, da machte ich ganz genau dasselbe.«
Julie versuchte zu scherzen: »Sie meinen, Sie sind mit Ihrem Auto ebenfalls vors Haus gefahren und dann eine halbe Stunde lang darin sitzengeblieben?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Flossie mit einem verlegenen Lächeln. »Sie wissen doch, daß ich nie Fahren gelernt habe. Ich meine, ich habe einfach so ins Leere gestarrt, genauso wie Sie es heute abend taten.«
Um nicht lügen zu müssen, wich Julie einer direkten Antwort aus und sagte mit gespielter Fröhlichkeit: »Ich finde es nicht gut, wenn man irgend jemand oder etwas nachtrauert, Miß Flossie. Wenn ich weiß, daß ich etwas nicht haben kann, dann finde ich mich damit ab oder versuche wenigstens, es für immer aus meinen Gedanken zu verbannen.«
Anstatt das als Antwort zu akzeptieren, was Julie eigentlich erwartet hatte, legte Miß Flossie ihre Hand auf Julies Arm und fragte: »Was würden Sie tun, wenn da etwas wäre, was Sie schon immer haben wollten und auch hätten haben können -, vielleicht noch
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