Perfekt
sagen:
«... schuldig des Mordes ...«
Dann, nach einer kurzen Ausführung, das Strafmaß betreffend, vernahm Zack einen weiteren Urteilsspruch, der noch vernichtender war als der vorhergegangene: »... wird zu einer Strafe von fünfundvierzig Jahren verurteilt, zu verbüßen im texanischen Staatsgefängnis in Amarillo ... Da das Strafmaß mehr als fünfzehn Jahre beträgt, kann keine Kaution gestellt werden ... Der Gefangene bleibt in Untersuchungshaft ...«
Zack verzog keine Miene. Er würde nichts tun, was demonstrieren könnte, wie er sich wirklich fühlte: daß er gelähmt war vor Entsetzen.
Er stand ganz ruhig da und zuckte auch nicht, als jemand seine Handgelenke packte, sie hinter seinen Rücken zerrte und die Handschellen zuschnappen ließ.
10
1993
»Vorsicht, Miß Mathison!« Die schrille Warnung aus dem Mund des Jungen im Rollstuhl kam zu spät. Julie, die gerade versuchte, den Basketball ins Netz zu werfen, blieb mit dem Hosenbein in der Fußstütze eines Rollstuhls hängen und landete schmachvoll und unsanft auf ihrem Hinterteil.
»Miß Mathison! Miß Mathison!« Die Turnhalle hallte wider vor den angstvollen Rufen der behinderten Kinder aus der Turnstunde, die Julie nach Schulschluß betreute, wenn ihre regulären Unterrichtsstunden vorbei waren. Kinder in Rollstühlen, auf Krücken und mit Gehhilfen versammelten sich um sie. »Alles okay, Miß Mathison?« ertönte es im Chor. »Sind Sie verletzt, Miß Mathison?«
»Natürlich bin ich verletzt«, scherzte Julie, während sie sich auf die Ellbogen stützte und sich die Haare aus dem Gesicht schüttelte. »Mein Stolz ist sehr, sehr verletzt.«
Willie Jenkins, ein neunmalkluger Achtjähriger, der vom Spielfeldrand aus zugesehen hatte, steckte die Hände in die Hosentaschen, betrachtete sie mit verblüfftem Grinsen und bemerkte mit tiefer Stimme: »Wieso ist Ihr Stolz verletzt? Gelandet sind Sie doch auf Ihrem Ar ...«
»Das kommt ganz auf den Blickwinkel an, Willie«, sagte Julie schnell und lachte. Sie rappelte sich gerade hoch, als ein Paar Halbschuhe, braune Socken und beige Hosenbeine in ihr Blickfeld kamen.
»Miß Mathison!« bellte der Schulleiter und runzelte beim Anblick der Schlitterspuren, die seinen blitzblanken Turnhallenboden entstellten, ärgerlich die Stirn. »Das sieht mir nicht nach Basketball aus. Was für eine Art Spiel veranstalten Sie hier?«
Obwohl Julie jetzt selbst Lehrerin der dritten Klasse der Keaton Elementary-School war, hatte sich ihr Verhältnis zu Mr. Duncan, dem Rektor der Schule, in den fünfzehn Jahren, seit er sie verdächtigt hatte, das Lunchgeld gestohlen zu haben, nicht wesentlich gebessert. Obwohl er ihre Integrität natürlich längst nicht mehr in Frage stellte, war es ihm doch ein ständiger Dorn im Auge, daß sie zugunsten ihrer Schüler zuweilen die Schulregeln sehr freizügig auslegte. Und nicht nur das. Andauernd kam sie mit neuen Ideen und Vorschlägen angerannt, und wenn er sie ablehnte, mobilisierte sie den Rest der Kleinstadt und organisierte, wenn nötig, finanzielle Unterstützung von Privatleuten. Als Folge ihres Engagements gab es in der Keaton Elementary inzwischen ein spezielles Unterrichts- und Schulsportprogramm für körper-behinderte Kinder, das sie nicht nur auf die Beine gestellt hatte, sondern auch laufend umänderte und verbesserte, was Mr. Duncan als typische frivole Mißachtung seiner langjährig bewährten Regeln auffaßte. Kaum hatte Miß Mathison ihr Behindertenprogramm unter Dach und Fach, wandte sie sich schon wieder einem neuen Thema zu, von dem sie sich durch nichts abbringen ließ: So beschäftigte sie sich jetzt mit einer privaten Kampagne, Analphabeten aus Keaton und Umgebung das Lesen und Schreiben beizubringen. Julie hatte ihren Kreuzzug gegen das Analphabetentum gestartet, als sie zufällig mitbekam, daß die Frau des Hausmeisters nicht lesen konnte. Sie lud die Frau zu sich nach Hause ein und begann, ihr Unterricht zu geben. Bald stellte sich heraus, daß die Frau des Hausmeisters eine andere Frau kannte, die auch nicht lesen konnte, und diese wiederum kannte eine dritte, die jemanden kannte, der mit jemandem befreundet war ... Innerhalb kürzester Zeit hatten sich sieben Frauen zusammengefunden, die lesen lernen wollten, und Miß Mathison hatte den Schulleiter deshalb gebeten, ihr zweimal pro Woche abends ein Klassenzimmer zur Verfügung zu stellen, wo sie ihre Schülerinnen unterrichten konnte.
Als Mr. Duncan auf die zusätzlichen Kosten hinwies, die es
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