Perfekte Manner gibt es nicht
erröten sehen. Und deshalb platzte sie unwillkürlich heraus: »O Frank, Sie werden ja ganz rot!« Und das aus ihrem Mund, obwohl sie persönliche Bemerkungen für äu ßerst unhöflich hielt … Sofort presste sie eine Hand auf ihren Mund, schaute ihn schuldbewusst an und beobachtete bestürzt, wie seine Wangen nun die Farbe tiefroten Burgunders annahmen.
»Das weiß ich«, murmelte er bekümmert. »Ein Fluch unserer Familie, wir alle werden dauernd rot.«
Da entfernte sie die Hand von ihrem Mund, berührte seinen Arm und drückte ihn sanft. »Das finde ich ganz zauberhaft.«
»Wirklich?«, fragte er, erfreut und ungläubig zugleich.
»O ja«, bestätigte sie. »Das ist geradezu erfrischend. Manchmal habe ich das Gefühl, heutzutage würde niemand mehr in Verlegenheit geraten, am allerwenigsten die Leute, die einen Grund dafür hätten.«
»Genau das denke ich auch«, sagte er und grinste breit. »Ist das nicht komisch?«
Etwas Seltsames schien an ihrem Inneren zu ziehen, so ähnlich, als würde Alessandro an seiner Leine zerren, um irgendwas genauer zu inspizieren. Aber diesmal wurde nicht an ihrem Arm gezogen, sondern – und da war sie sich ganz sicher – an ihrem Herzen.
Das verwirrte Eleanor, denn so etwas hatte sie nie zuvor empfunden. Zumindest erinnerte sie sich nicht daran – oder vielleicht bei ihrer ersten Begegnung mit
Gilbert, auf dem Maude-Gross-Dunleavy-Ball, vor so vielen Jahren …
Allmächtiger, was geschah denn mit ihr?
»Nun …« Franks Gesicht hatte wieder seine normale, immer noch rosige Farbe angenommen. »Gute Nacht, Eleanor.«
»Gute Nacht, Frank.« Hastig scheuchte sie Alessandro in ihr Zimmer und schloss die Tür, bevor Frank ihre eigenen glühenden Wangen bemerken konnte.
19
Lou spießte mit ihrer Gabel ein Stück Wildfleisch auf, das genauso köstlich schmeckte wie der Rahmspinat. Aber das würde sie Jack nicht mitteilen. Diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht.
Andererseits – ihr fast leerer Teller und der Heißhunger, mit dem sie die Mahlzeit verschlungen hatte, würden sie vielleicht verraten.
»Nur damit ich das richtig verstehe …«, begann sie in scharfem Ton, obwohl es ihr wegen des warmen Sättigungsgefühls in ihrem Magen sehr schwer fiel, Jack Townsend weiterhin zu grollen. »Du glaubst, weil ich nur mit einem einzigen Mann zusammen war, bin ich noch eine Jungfrau?«
Unbehaglich schnitt er eine Grimasse. Aber er wirkte schon die ganze Zeit unbehaglich, seit er das Wort »Jungfrau« ausgesprochen hatte. »Hör mal, können wir das Thema nicht lassen?«
»Nein, das können wir nicht. Ich will wissen, was du damit gemeint hast. Weil ich wohl kaum eine Jungfrau bin, Townsend. Ich habe sechs Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt. Sechs Jahre!« Und er hat mir trotzdem keinen Heiratsantrag gemacht. Das fügte sie natürlich nur in Gedanken hinzu.
»Bitte, Lou!« Jack legte seine Gabel beiseite. »Selbstverständlich maße ich mir kein Urteil an. Es ist nur … Wie du zugeben musst, ist das heutzutage ziemlich seltsam.«
»Was denn?« Sie blinzelte ihn über den roh gezimmerten Tisch hinweg an, den sie mit passendem rustikalem Besteck aus Donalds Küchenschublade gedeckt hatte. Dazu hatte sie sich verpflichtet gefühlt, nachdem er schon das Essen zubereitet hatte.
Jetzt fand sie allerdings, diese Mühe hätte sie sich sparen sollen. Jack hatte sich eine Meinung über sie gebildet. Und daran würde er nichts ändern.
»Sprichst du von Monogamie?«, fragte sie erstaunt.
»Nun ja …« Jack nahm einen Schluck Wein. »Eigentlich dachte ich, die wäre zusammen mit Mitternachtspartys und Bowle ausgestorben.« Über das Fleischstück hinweg, das auf ihrer Gabel steckte, starrte sie ihn an.
»Ist dir bewusst, dass ich bewaffnet bin? Wie leicht könnte ich dich erschießen und hier liegen lassen, bis Donald deine verweste Leiche findet …«
»Wie gesagt, ich maße mir kein Urteil an.« Er griff nach der Weinflasche und füllte ihr Glas nach. »Keine Ahnung, warum du dich so aufregst.«
»Du hast mich eine Jungfrau genannt«, betonte sie.
» Praktisch eine Jungfrau – so habe ich es ausgedrückt«, erinnerte er sie. »Wie schmeckt dein Steak?«
»Versuch nicht, das Thema zu wechseln«, mahnte sie, obwohl das Gespräch an ihren eigenen Nerven zerrte. Wie sollte sie denn ruhig und gelassen bleiben, wenn er ihr direkt gegenübersaß und besser aussah als – nun, als es gut für sie war? Offenbar hatte er einen von Donalds Bic-Einwegrasierern benutzt, denn die
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