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Performer, Styler, Egoisten

Performer, Styler, Egoisten

Titel: Performer, Styler, Egoisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Heinzelmaier
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lediglich das Freizeitverhalten der Erwachsenen oder vollzieht praktisch die Ideen und Werte, die sie im Zuge ihrer Sozialisation internalisieren musste, wenn sie ihr Heil in ständiger Innovation durch Konsum und Erfüllung durch emotionale Grenzüberschreitungen sucht. Und dazu kommt der tägliche Druck aus der Gleichaltrigengruppe und den Medien. Wer nicht Aufsehen erregend performt, wer nicht ständig neue Statussymbole vorweisen und mit außergewöhnlichen Erlebnissen, die sonst keiner hat, protzen kann, dessen Leben verläuft in unserer Gesellschaft unterhalb der Wahrnehmungssphäre der Anerkannten und Erfolgreichen. Und wen es einmal in die sozialen Regionen der Looser verschlagen hat, der ist voraussichtlich dauerhaft dazu verurteilt, ein Leben im Kreise der unnützen und bedeutungslosen Outcasts zu führen.
    Georg Simmel hat als tiefstes Problem des modernen Lebens den Anspruch des Individuums gesehen, „die Selbständigkeit und Eigenart seines Daseins gegen die Übermächte der Gesellschaft, des gesellschaftlich Ererbten, der äußerlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren“ (Simmel 2010: 241). Die Jugend unserer Zeit versucht, die Selbständigkeit und Eigenart ihres Daseins, d. h. ihre Individualität und Unabhängigkeit gegenüber einem immer über- und eingriffiger werdenden gesellschaftspolitischen Ordnungsregime, durch Rückgriff auf das Angebot der kommerziellen Mode zu verteidigen. Sie folgt den immer schneller und nervöser verlaufenden modischen Strömungen mit zunehmender Rastlosigkeit und Unruhe. Werner Sombart hat bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass der ständige Wechsel der kommerziellen Moden einen am Dauerhaften, Festen und Soliden desinteressierten Menschen geschaffen hat. Im Gegensatz dazu ist ein Menschentypus entstanden, der von einem fast grenzenlosen Abwechslungsbedürfnis geprägt ist und dem darüber der Respekt und die Achtung vor allem Alten und Ererbten verloren gegangen zu sein scheint. „Wir wollen den Wechsel unserer Gebrauchsgegenstände. Es macht uns nervös, wenn wir ewig ein und dasselbe Kleidungsstück an uns oder unserer Umgebung sehen sollen. Ein Abwechslungsbedürfnis beherrscht die Menschen, das oft geradezu zur Rohheit in der Behandlung alter Gebrauchsgegenstände ausartet.“ (Sombart, zitiert nach Bosch 2010: 114) Dieser Wertewandel, der im Kern in der Entwertung von Tradition und Kontinuität und in der Aufwertung von Diskontinuität und permanentem Wandel besteht, ist ein Grundprinzip der modernen Mode. Dieses Grundprinzip ist die treibende Kraft im kapitalistischen Konsumgütermarkt, der davon lebt, dass er die Konsumenten in ein „wahres Neuerungsfieber“ (ebd.: 115) stürzt.
    Die rasenden Modewechsel, denen die Jugendlichen förmlich gezwungen sind zu folgen, weil die Aneignung der Artefakte der Modeindustrie ihnen als die wichtigste Möglichkeit erscheinen, ihre Individualität gegenüber den Zumutungen eines ordoliberalen Staates und seiner Ideologie zu verteidigen, hält sie in dauerhafter Abhängigkeit zu den Konsumgütermärkten und ist damit die Grundlage für die Herstellung von stabilen Bindungen der jungen Konsumenten an Konsumentenmarken, die ihnen nicht nur ein distinktives Image, sondern auch Lebenssinn, Glück und Zufriedenheit versprechen.
    Freizeitals Artikulationsraum ästhetisch geprägter Jugendkulturen
    Während die personelle Basis der Jugendkultur die Peergroup darstellt, ist die Freizeit deren zeitliche Grundlage (vgl. Schäfers/Scherr 2005: 142). In der Freizeit sollte es, aus der Perspektive der Jugendlichen betrachtet, in erster Linie um „Sozialintegration“ gehen, um individuelle Präferenzen und Zwecke, um Autonomie und Selbstbestimmung, in Differenz zur primär fremdbestimmten Zeit der „funktionalen Integration“ (vgl. Gorz 2010: 109), die in Bildungsinstitutionen und in der Arbeitswelt verausgabt werden muss. In Abwandlung eines Satzes von Andre Gorz könnte man sagen, dass das Freizeitleben zur Negation des Lebens außerhalb der Freizeitwelt geworden ist und umgekehrt (vgl. ebd.: 107). Wesentlich ist insbesondere der expressive Charakter der Freizeit. Die Freizeit ist für Jugendliche der bevorzugte Artikulationsraum für ihre kulturellen Ambitionen, es ist jener in der Regel öffentliche Raum, in der sich die Kultur der Jugendlichen am deutlichsten zeigt (vgl. Silbereisen u. a. 1996: 261).
     
    Die Jugendkulturen, die sich in der Freizeit manifestieren, sind ästhetisch geprägte

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