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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Kanonikus an den Schauder, den er empfunden hatte.
    Im Laufe der Jahre war der Auftrag verblasst, doch als Jerusalem gefallen und die Kunde von dem Tod des Zwiefaltener Mönchs an sein Ohr gedrungen war, hatte er gewusst, dass die Zeit gekommen war.
    Die Männer hielten an und ließen den Kanonikus auf dem Boden liegen. Mühsam hob Clemens seinen Kopf und öffnete die Augen. Sie waren an einer Lichtung angekommen, keiner einsamen, nein, sie war voller Menschen! Sie saßen um kleine Feuerstellen, Männer, Frauen, auch Kinder. Es war laut, einige sangen, ein Mann schrie, aber niemand nahm Notiz von ihm.
    Was war das für ein Ort? Clemens drehte seinen Kopf, aber wohin er auch sah, es gab keine Häuser und keine Hütten.
    Ein Gesicht voller Geschwüre tauchte vor ihm auf, entstellt und ohne menschliche Züge. Das Monstrum kreischte mit hohler, katzenhafter Stimme, Arme wie Stumpen näherten sich seinem Körper.
    »Verschwinde, du Untier, geh zu den Deinen!«
    Eine schneidende Stimme ließ das Monster zusammenzucken. Mit einem Heulen eilte es davon.
    »Ein Aussätziger, es ist schlimm um ihn bestellt. Doch nicht alle haben derart ungehobelte Manieren.«
    Der Mann, der sich nun vor ihn kniete, trug einen langen filzigenBart und war ebenfalls in Lumpen gekleidet wie die Männer, die Clemens überfallen hatten. Nur trug er eine Tunika aus Ziegenhaar, seine Füße waren nackt, und trotz des Schmutzes, der ihm anhaftete, durchdrang ihn ein eigentümliches inneres Leuchten.
    »Ich bin Werner von Kastellaun. Und wer seid Ihr?«
    »Zuerst bindet mich los!«
    »Ihr seid ein großer, stattlicher Mann. Wie soll ich wissen, dass Ihr mich nicht gleich zu überwältigen sucht?«
    »Ich bin Kanonikus!«
    Werner von Kastellaun lachte auf. »Das besagt gar nichts. Unlängst hörte ich von einem furchtbaren Streit zwischen einem Abt und einem Bischof um den Sitzplatz neben dem Mainzer Erzbischof. Sie ließen den Streit mit dem Schwert austragen, es rollten mehrere Köpfe. Und das zum Pfingstfest in der Kirche.«
    »Ihr sprecht von einem Vorfall, der mehr als hundert Jahre zurückliegt.«
    »Das ändert nichts an dem unchristlichen Verhalten.«
    »Und wie steht es mit Euch? Waren es nicht Eure Männer, die mich überfallen haben?«
    Werner von Kastellaun lächelte. »Es sind Männer Gottes, auch wenn sie es mit den Geboten nicht so ernst nehmen.«
    »Männer Gottes? Ihr wollt mich wohl zum Narren halten!«
    Doch der bärtige Mann lächelte weiter, es war ein hochmütiges, fast spöttisches Lächeln. »Mitnichten, ehrwürdiger Kanonikus. Diese Männer mögen das Gute noch nicht von dem Bösen zu unterscheiden wissen, aber wie sollten sie denn, wenn es selbst die Kirche nicht vorlebt? Und doch sind sie dem wahren Glauben näher als Ihr.«
    Clemens von Hagen begriff. Werner von Kastellaun war ein Häretiker, ein Abtrünniger, der in der Abgeschiedenheit fern der Stadt ein einfaches Leben im Geiste des Evangeliums führte und damit Scharen einfacher, entwurzelter und gebrandmarkter Menschenanzog, die dem weltlichen Elend zu entfliehen suchten. Aber was für einen Grundsatz verfolgte dieser Wanderprediger zum Erhalt seiner Rechte? Wahrte er sie mit Gewalt?
    »Ihr habt Euch von der Kirche losgesagt. Und nun wollt Ihr den Menschen den wahren Glauben predigen«, stellte Clemens lakonisch fest.
    »Ihr seid ein kluger Mann.«
    »Dann solltet ihr dem einfachen Volk auch Vorbild sein im Sinne Christi – also bindet mich los.« Ein paar Männer hatten sich von einer Feuerstelle erhoben und den beiden genähert, um dem Disput zu folgen. »Sieh, Werner von Kastellaun, sie erwarten Eure Gerechtigkeit.«
    Das Lächeln des Wanderpredigers erstarb für einen kurzen Moment, dann aber näherte er sich Clemens und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich werde an Euch ein Exempel statuieren!«
    Der Bärtige stand auf. »Seht her, liebe Leute. Vor Euch liegt ein Mann der Kirche. Erbärmlich in seinem Reichtum und Prunk. Und doch selbstherrlich genug, um das Evangelium zu verachten, nach dem wir leben. Der Herr hat ihn zu uns geführt, um uns zu prüfen und unsere Standhaftigkeit gegenüber den unrechten Schäfern zu beweisen.«
    Immer mehr Menschen kamen herbeigeströmt. Clemens von Hagen bemerkte noch weitere Aussätzige mit den furchtbaren Spuren, welche die Lepra an ihren Körpern hinterlassen hatte. Sie waren verkrüppelt, gerötet und entstellt, darunter eine junge Frau in der gefärbten Kleidung wohlhabender Städter. Unter den gestrengen Blicken des Bärtigen

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