Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
geschehen?«
Damit gab sie dem Pferd einen Schlag auf die Flanken, dass esnach vorne stob, in einem Satz über am Boden kauernde Leiber. Clemens hatte Mühe, sich auf dem Tier zu halten. Mit größter Kraft presste er seine Beine gegen den Rumpf, die Angst größer als der Schmerz.
Hinter ihm krachte ein weiterer Baum zu Boden. Sein Umhang verfing sich im Geäst und riss an seinem Hals, doch er trieb sein Pferd weiter, das Astwerk berstend hinter sich. Immer weiter ging es durch das Unterholz in die Dunkelheit. Er betete stumm, dass sein Pferd nicht stürzte. Dann entfernten sich die Geräusche.
Clemens war entkommen.
9
S ie hätte in den Klostergängen bleiben sollen, doch irgendetwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.
Der Herr hatte ihr ein gutes Gehör geschenkt, auf dass sie sehr genau, sorgfältig und streng die Einhaltung seiner Gebote prüfe, zur Wahrung der himmlischen Gerechtigkeit. Indessen zeigte ihr Körper Schwäche, zauderte vor einem unerträglichen Gefühl drohender Gefahr.
Doch Gott war mit ihr, er leitete jeden Schritt, den sie in der Dunkelheit ihrer Augen machte. Der Herr hatte sie vor der Feuersbrunst gerettet und ihr Rufen erhört. Wenn Gott mit ihr war, wer sollte dann gegen sie sein?
Vorbei die ruhigen Nächte, in denen sie betend die Gänge durchschritten hatte, vorbei die Stille, in der sie sich ganz der Innenschau hatte widmen können und das farbenprächtige Schauspiel der geistigen Welt erfahren hatte.
Ein lautes Scheppern ließ Ida von Lorch zusammenzucken. Etwas war auf den Boden gestürzt. Krachend und mit großer Wucht, als käme es von oben. Würde der Sturm nun das Dach der Kirche auf sie niederschmettern?
Weiter, nur weiter, getrieben von Ahnung. Etwas, das sie noch nicht zu greifen wusste, geschah, und sie musste es verhindern.
Gerade noch hatte sie Worte vernommen, kaum mehr als ein Flüstern. Nun waren sie verstummt. Doch was war das? Hörtesie den Klang von Schritten, oder war es eine Täuschung des Windes?
Ida stand ganz ruhig, das Geräusch war verklungen. Es blieb ihr jedoch keine Wahl, sie musste ihm auf den Grund gehen. Was es auch gewesen sein mochte – es war vom Ostteil der Kirche gekommen.
Aufrecht schritt Ida durch das Chorgestühl in Richtung Altar, ihre Nase witternd in der Luft. Ein Geruch, den sie nur allzu gut kannte, erfasste ihre Sinne. Er war modrig und klamm – die Krypta, ja, zweifellos. Jemand musste sie geöffnet haben. Aber wer und aus welchem Grund?
Sie dachte an die Nonnen, die sich nun im Dormitorium zur Ruhe legten. Margarete fehlte, wie Bertha, die in dieser Woche Nachtwache hielt, ihr mitgeteilt hatte. Und auch die junge Oblatin Anna hatte nicht auf ihrer Matte gelegen.
Ida verspürte ein heftiges Pochen in ihrer Brust, während sie zügig voranschritt. Der Stab glitt über den Boden, behutsam wies er ihr den Weg. Das leise Geräusch fand einen Widerhall im Saal, doch der Wind nahm es mit sich und verschluckte es mit lautem Geheul.
Ihre Gedanken begannen zu kreisen. Warum die Krypta? Wollte sich jemand der Altarbilder des südlichen Kirchenschiffes bemächtigen, die sie aus Schutz vor der Nässe dort abgestellt hatten? War eine der als abwesend gemeldeten Nonnen eingedrungen, um den Konvent nun auch noch um den geplünderten Reliquienschrein zu bringen?
Ida hielt inne. Und wenn es keine Nonne war, die sich in der Tiefe des unteren Geschosses verbarg, sondern die Handwerker oder gar Plünderer, die in das Kloster eingedrungen waren und nun nach verborgenen Schätzen suchten?
Wieder vernahm sie ein Geräusch. Das Scharren von Füßen, ein kurzes Wispern. Das Pochen in der Brust wurde stärker, begannsich in ihrem ganzen Körper auszubreiten. Nein, sie durfte jetzt nicht zögern, es war ihre Aufgabe, augenblicklich zu handeln.
Mit ihrem nun fast unmerklich über den Boden gleitenden Stab eilte sie voran, am Altar vorbei ins nördliche Querschiff. Wenn sich jemand in der Krypta aufhielt, dann gab es nur eine Möglichkeit: Man musste sie von außen verriegeln. Die Priorin würde sich der ungebetenen Eindringlinge annehmen müssen, um zu strafen, was zu strafen war. Es würde sich schon herausstellen, wer an diesem geheiligten Ort gegen die Regeln verstieß.
Der Stab schlug gegen einen unerwarteten Widerstand und fiel zu Boden. Heftig keuchend tastete sich Ida voran, die Luft schien ihre Lungen nicht zu erreichen. Ihre bebenden Hände glitten über kalten Stein. Die Statue der heiligen Ursula! Ida atmete tief durch.
Dann endlich
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