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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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fühlte sie auch die Holztür zur Krypta. Sie stand offen. Wieder dieses scharrende Geräusch, nur lauter, es kam direkt aus dem Schacht. Rasch, die Tür – sie musste sie verschließen, bevor jemand ihre Anwesenheit bemerkte.
    Flugs griff sie nach dem Holz. Doch in dem Moment, als sie sich gegen den Zugang stemmte, erklangen laute Schritte, die die Stufen hinaufstürmten. Die Tür wurde ihr aus den Händen gerissen und schlug zurück, prallte mit einem lauten Krachen gegen die Steinwand. Grober Stoff streifte ihre Wangen, und in dem Moment, als sie zu Boden gerissen wurde, erkannte sie den zarten Geruch, der sich noch vor kurzem in ihrer Nase verfangen hatte.

10
    E lysa lag mit klopfendem Herzen auf ihrer Schlafstatt. Die Kerze war fast heruntergebrannt, aber sie würde sie heute Nacht nicht mehr löschen. Ihre Augen wanderten zur Tür. Hastig sprang Elysa auf und schob das Tischchen davor. Wenn jemand heute Nacht eindringen sollte, dann wollte sie gewarnt sein.
    Doch was sollte schon geschehen? Ida konnte sie unmöglich erkannt haben, und wenn – würde die Priorin sie für ihr Vergehen züchtigen?
    Es war kein Zustand, nein, sie würde morgen früh abreisen. Die Priorin aufklären und um Vergebung bitten. Dann zum Laienbruder Gregorius gehen und ihn um Geleit ersuchen.
    Aber was würde dann aus Margarete werden? Aus dem Vermächtnis der seligen Hildegard und aus dem Kloster?
    Was würde Clemens von Hagen denken, wenn er zurückkehrte und sie nicht mehr vorfand? Er wäre enttäuscht. Ja, enttäuscht, und das zu Recht. Sie hätte früher entscheiden müssen, aber nun, da er sich auf sie verließ, konnte sie einfach gehen? Nein, sie konnte es nicht.
    Sie könnte indessen ausharren, sich all jener Dinge entziehen, die sie zweifellos in unangenehme Bedrängnis brachten. Sollte doch der Kanonikus sich der Klärung der Verbrechen annehmen – Elysa würde nunmehr beobachten und ihm ihre Erkenntnisse berichten. Noch drei Tage.
    Der Klosteralltag machte mürbe. Beten und singen, sticken und nähen. Hungern und frieren in Demut und Gehorsamkeit. Und was war mit dem toten Mönch, dem Feuer und der Nonne?
    Elysa seufzte. Der neue Tag würde es entscheiden.
    Der Wind heulte, durchdrang eiskalt die kleine Zelle und schmerzte bis tief ins Mark. Elysa ging zum Fenster und rückte den pergamentbespannten Rahmen zurecht. Morgen würde sie um eine zweite Decke bitten, es musste doch ein Fell aufzufinden sein. Vielleicht gab es auch irgendwo ein Calefactorium mit einem Kamin, an dem sie sich wärmen konnte.
    Vollständig bekleidet legte sie sich auf das unbequeme Lager und starrte an die Decke aus kaltem Stein, rissig verputzt. Elysa musste an Burg Bergheim denken, auch dort war es im Winter bitterkalt gewesen. Aber es hatte weiche Kissen gegeben, mit Federn gefüllt, Felldecken und einen Kamin im großen Schlafraum. Sie hatte sich immer an den Körper ihrer Mutter geschmiegt, der warm war und duftete. Selbst als die Mutter sich nach dem furchtbaren Unglück nicht mehr rühren wollte, nur aufrecht im Bett saß und unbewegt zur Decke starrte. So wie sie jetzt.
    Elysa schüttelte die Gedanken ab. Der Wind blies ungehindert durch die Ritzen des Rahmens und ließ die Kerze flackern.
    Wo waren all die Wärme und Schönheit der Welt? Das unerschöpfliche Universum, der Kosmos als Offenbarung Gottes? Wo war die Wintersonne, die kühle und doch blendende Kaskade des Lichts?
    In diesem Moment erschien Elysa ihr eigenes Dasein trüb und leer, Spielball des Schicksals, dem es erst gefiel, sie überstürzt ihres geordneten Lebens zu berauben, um dem ungeliebten Bruder Magnus zur Seite zu stehen, und das sie nun in ein klammes Kloster führte, dem ein unheilvolles Geheimnis innewohnte.
    Das Rad des Schicksals drehte sich, und es war Elysa, als risse es sie vom Niedrigsten zum Höchsten und nun wieder vom Höchstenzum Niedrigsten. Gab es eine Möglichkeit, es anzuhalten? Konnte sie es aus eigener Kraft wieder nach oben zwingen?
    Zumindest erhielt sie nun Gelegenheit, über den weiteren Verlauf ihres Lebens nachzudenken. Für einen Augenblick sann Elysa darüber, wie es wäre, sich dem Willen des Bruders zu entziehen und wieder nach Mainz zurückzukehren.
    Sie lächelte wehmütig im Gedanken an die wunderbaren Jahre, die sie dort verbracht hatte, bevor Bernhard von Oberstein, ihr geliebter Onkel, verstarb. Auch das Herz der Großmutter würde leichter werden, wenn Elysa zurückkehrte. Bei ihrer Abreise hatte die alte Frau bittere Tränen

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