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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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mehr stieg die Gefahr für Leib und Leben.
    Clemens goss das Wasser aus dem Krug und sah zurück in denGastraum. Gerold von Mettlach war aufgesprungen. Mit gezücktem Schwert gab er den anderen Zeichen.
    Todesfurcht durchfuhr Clemens wie der Schlag eines Blitzes. Mit großen Schritten rannte er zum Stall. Der Krug zerbrach klirrend auf dem Pflaster. Hinter sich hörte er das Brüllen der Männer, die nun allesamt aus dem Haus stürzten. Behände löste er die Zügel der wartenden Pferde, sprang auf das größte von ihnen und trieb seine Beine in die Flanken. Das Ross machte einen Satz nach vorne, die anderen Tiere folgten ihm. Die Angreifer nahten mit erhobenen Schwertern. Ein Hieb, und Clemens wäre verloren. Hastig riss er die Zügel herum, wich in einem Bogen aus und preschte von dannen, auf dem Weg zur alten Römerstraße.
    Kurz vor der Biegung drehte der Kanonikus sich um und wünschte, er hätte es nicht getan. Gerold, der angesichts der entflohenen Rösser wohl versucht hatte, Clemens’ müden Gaul zur Verfolgung anzutreiben, stieg fluchend ab und trennte mit einem wütenden Hieb das Haupt seines treuen Tieres vom Rumpf.

2
    A ls Elysa den Kreuzgarten betrat, bemerkte sie Ditwin und dessen Vater Eberold, die auf dem Dach des Seitenschiffes verkohlte Holzbalken entfernten und neue hämmernd befestigten. Eine Weile beobachtete sie ihr Tun, während sie darüber nachsann, warum Margarete beim Morgenlob gefehlt hatte. An den Vigilien hatte sie noch teilgenommen, blass und unnahbar, doch nun war sie nicht aufzufinden. Hatte sie der Priorin gebeichtet?
    Ditwin hob seinen Kopf und sah herunter, er musste ihre Blicke bemerkt haben und lächelte schamlos.
    Verärgert sah Elysa an ihm vorbei hinauf zum Glockenturm, der das Kirchendach weit überragte, und tat, als studiere sie dessen eigentümliches Figurenfries. Ihr Blick verweilte in der Mitte des Frieses, in der ein bärtiger, in Stein gemeißelter Mann mit Lockenpracht und breiten, auf die Stirn fallenden Strähnen stand. Die Hände hatte die Figur zum Himmel erhoben, um den mittleren Pfeiler des Turmes wie ein Atlas zu tragen. Seine Gestalt war kurz und gedrungen, mit stämmigen Unterschenkeln, die unter dem Gewand hervorschauten. Um die Hüften wurde das lange, kuttenartige Gewand von einem schmalen Riemen zusammengehalten, dessen Enden auffallend lang herabhingen. Ein Skapulier war nicht zu erkennen. Sollte die Figur dennoch einen Mönch darstellen?
    Elysa hatte so etwas noch niemals gesehen. Die Haltung ziemtesich nicht für einen Mönch, ebenso wenig wie die enge Form der Kutte und die nachlässige Unordnung der Kleidung. Der Bärtige musste eine andere Bedeutung haben. Was hatte sich der Steinmetz gedacht, als er die Figuren meißelte, was die Person, die diese Arbeit in Auftrag gegeben hatte?
    Rechts und links neben dem Bärtigen knieten Tierfiguren, Ziegenböcke und Widder, die sich zu den Seiten hin neigten, so als würden sie fallen. Fast sah es so aus, als sollten sie geopfert werden. Doch wem? Gewiss nicht dem in der Mitte stehenden Bärtigen, dessen Armhaltung auf groteske Weise verrenkt war. Auch nahm der Ausdruck im angestrengten Gesicht nahezu lächerliche Züge an, und je länger Elysa die Figur betrachtete, desto mehr erschien ihr der Mann als ein Dämon oder Heidenpriester, der die niedergestreckten Tiere seinen Göttern geopfert hatte und nun dazu angehalten war, mit dem Tragen des Gesimses dem christlichen Gebäude zu dienen.
    Das Geräusch einer zufallenden Tür zog Elysas Aufmerksamkeit zurück ins Klosterleben. Zwei Nonnen betraten den Kreuzgang. Schweigend und mit gesenktem Kopf gingen sie an ihr vorbei auf dem Weg zur morgendlichen Versammlung im Kapitelsaal, der im östlichen Konventstrakt lag.
    Elysa hatte Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. Während der Laudes waren ihr die Augen zugefallen. Zum Glück hatte es niemand bemerkt.
    Weitere Nonnen erschienen. Elysa erkannte Anna, die junge Oblatin, und eine Schwester, die wenige Reihen vor ihr im Chorgestühl gesessen hatte. Sie verschwanden hinter den Arkaden im Dunklen des Kapitelsaals. Von Unruhe getrieben, sah Elysa sich um. Margarete war nicht unter den Nonnen gewesen. Wie viel wusste die Priorin bereits von ihrem nächtlichen Ausflug?
    Nun würden bald die Novizinnen kommen, wie auch gestern und gewiss an jedem anderen Tag. Diesem Kloster wohnte einRhythmus inne, der sich täglich wiederholte. Alles war vorherbestimmt. Die Zeiten der Messen, die Zeiten der Versammlungen, die Zeiten

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