Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
fragte Margarete.
»Alle kommen in Frage. Was ist mit Gudrun? Sie drischt den Schlegel, als gälte es, mit dem Ton der Glocke auch die sündigen Seelen zu prügeln. Ihre Arme sind stark und könnten es selbst mit einem Bären aufnehmen. Oder Ermelindis, die Celleraria? Siehtder große Braten nicht aus wie Reue, hat sie ihn geschickt, um Abbitte zu leisten?«
»Schweig still, urteile nicht aufgrund von unchristlichen Überlegungen. Warum sollte sie mich niederschlagen?«
Jutta zuckte die Schultern. »Das, liebe Margarete, kannst nur du wissen, denn mir hast du die Sünde nicht anvertraut, die auf deinem Gewissen lastet.« Sie sah den Braten sehnsüchtig an. »Doch wenn du auf dieses Geschöpf des Himmels keinen Wert legst, so gib mir eine Keule davon zum Kosten.«
»Willst du dich wegen eines Tieres mit Sünde beflecken? Du bist nicht krank!«
»Der heilige Benedikt sprach von Fleisch, als er das Verbot erhob, nicht aber von Vögeln, die keine Vierbeiner sind und so mit den Fischen zur selben Kreatur gehören.«
»Doch die Priorin …«
In diesem Moment erhob sich Lärm. Die Tür wurde aufgestoßen, und Sibille, eine der Novizinnen, kam herein. »Rasch, Jutta! Wir brauchen deine Hilfe.«
Nun war es vollkommen still in der Krankenstube. Margarete ging mit schwachen Beinen zur Fensteröffnung und sah Jutta mit der Novizin Sibille über den weißen Kreuzhof zur Kirche eilen. Was war geschehen?
Sie schauderte und tastete nach dem schmerzenden Kopf. Wer nur hatte sie niedergeschlagen und warum?
Humbert von Ulmen hatte ihr nach der Beichte unmissverständlich klargemacht, dass es ihre Pflicht war, das Stück Pergament der Priorin zu übergeben. Als man sie niedergeschlagen hatte, war sie auf dem Weg zu dem Versteck gewesen, in dem sie es nach ihrer Flucht aus der Krypta verborgen hielt. Das Pergament …
Wieder stieg jene Unruhe heiß in ihr auf, die sie verspürt hatte,als sie damals im Oktober begann, nach dem verschwundenen Mönch zu suchen.
Das Pergament war von unermesslichem Wert, den vielleicht nur die Priorin erkennen konnte. Sie war Bibliothekarin am Rupertsberg gewesen, eine belesene Frau. Margarete musste es ihr geben, hätte es ihr schon längst geben müssen, bevor es in falsche Hände geriet. War das Pergament noch an seinem Platz?
Augenblicklich band Margarete sich ihre Haube wieder fester um den Kopf und richtete sich auf, die Knie noch schwach. Für einen Moment hielt sie inne, der Kopf schien ihr zu bersten, dann ging sie voran. Erst langsam, schließlich mit immer größer werdender Eile, den heftigen Schwindel ignorierend, der sich ihrer bemächtigte. Zur Tür hinaus auf den Kreuzgang und über den schmalen Gang zwischen den Konventsgebäuden zum Außengelände, wo Latrinen, Badehaus und Backstube lagen.
Es war stürmisch gewesen in jener Nacht, sie hatte sich gegen den Wind stemmen müssen, als sie getrieben von Furcht auf dem Weg zum Dormitorium ein Versteck für das kostbare Fragment gesucht und es doch erst außerhalb bei der Backstube gefunden hatte.
Margarete passierte die Latrinen. Dort hatte Elisabeth sich in Krämpfen gewunden, als sie denselben Weg lief, um den Mönch zu suchen. Nun war es still.
Heftiger Regen setzte ein, als sie am Badehaus vorbei zu dem Bereich ging, wo sich Küche und Backstube gegenüberlagen. Mit tief zwischen die Schultern gezogenem Kopf ging sie zur Wand der Backstube. Kurz zögerte sie. War dort drüben nicht eine Gestalt, die sich im Schatten der Konventsgebäude verbarg? Nein, ihr schmerzender Schädel verwirrte die Sinne. Alles war ruhig. Sie musste sich geirrt haben.
Hastig tastete sie die Fugen im Gemäuer ab. Es gab nicht viele Möglichkeiten für eine Nonne, unerlaubten Besitz zu verbergen,und bevor Margarete das Stück Pergament besaß, hatte sie niemals über derartige Verstecke nachgedacht. Nun aber durchmaß sie alle Spalten der rückwärtigen Wand. Ja, hier musste es sein, doch ihre Finger griffen ins Leere.
Enttäuscht trat sie einen Schritt zurück. Es war dunkel gewesen in jener Nacht. Sie war in Eile gewesen, bebend vor Angst. Hatte die Erinnerung sie getrogen? Margarete ging ein Stück weiter, versuchte es nun an der Längsseite. Ihre Fingerkuppen berührten Stoff, und in dem Moment, als sie das schützende Leinen spürte, kam die Erinnerung zurück. Sie lächelte erleichtert.
Plötzlich erhob sich ein Tumult. Margarete vernahm lautes Wehklagen, zog die Hand hastig ohne das Pergament zurück und ging durch den herabprasselnden Regen
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