Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
vor nicht allzu langer Zeit ein Vermögen hätte machen können, doch Gewichtswaren gehen schlecht derzeit.« Er lächelte. »Ich habe sie pfundweise erworben, denn wenn ich sie nach England verkaufe, machen sie mich zu einem reichen Mann. Doch seht her!« Er zeigte auf die durchweichten Säcke, die keinen Platz mehr unter dem schützenden Verschlag am Heck des Bootes gefunden hatten. »Wenn ich sie nicht bald trockne, sind sie verdorben, und ich habe nichts mehr, was mich ernährt. Daher habe ich begonnen, Wasser zu schöpfen, um den Prahm zu leeren, denn«, er senkte die Stimme und wies auf die beiden Schiffer, »diese Halunken wollten zehn Pfennige zusätzlich, wenn sie mir helfen! Doch ich war wohl zu eifrig, denn ich beugte mich weit vor und fiel über Bord.«
»Warum macht Ihr keine Rast und wartet, bis der Regen nachlässt?«, fragte Clemens.
»Beim gütigen Herrn, das wäre mein Ruin! Ich war zu Allerheiligen in Worms und habe einem Kaufmann Ballen mit Seide abgeliefert, die ich ebenfalls auf der Messe erwarb. Der bot mir seine Tochter, ein hübsches Ding, das ich zu ehelichen gedenke. Mein Leib verfiel kurzzeitig der sündhaften Lust.« Er lächelte anzüglich, als wäre Clemens ein Kenner des süßen Lasters. »Indessen schob ich mein Bleiben auf das Unwetter, denn wie hätte ich das Risiko eingehen sollen, die kostbare Ware dem Sturm auszusetzen, der in dieser Zeit wütete? Doch dann vermochte ich meine Abreise nicht mehr zu verzögern. In Mainz wartet ein Händler auf dem Weg nach England, und wenn ich mich nicht spute, dann kauft er bei einem anderen, der den kürzeren Weg zurück über Trier genommen hat und ihm die Gewürze zu einem guten Preis feilbietet. Ihr werdet verstehen, dass ich dem Regen trotzen muss, wenngleich ich mich frage, ob der Herr uns die Wasser des Himmels herabschickt, um uns am Ende der Zeiten von all den Sünden reinzuwaschen.«
Sorgenvoll sah der Händler zum Himmel und begann, wieder Wasser zu schöpfen.
Clemens rieb sich die Arme im erfolglosen Versuch, die Kälte aus der durchnässten Kleidung zu treiben. Er dachte an den Weg, der noch vor ihm lag, und ihn überfiel eine tiefe Unruhe. Wenn sie Mainz noch am selben Abend erreichten, könnte er rasch die Kleidung wechseln, sich wärmen und für wenige Stunden zur Ruhe legen und dann im Morgengrauen zum Rupertsberg aufbrechen. Selbst wenn er erst in der Nacht zum Kloster gelangte, so könnte er nach einigen Nachforschungen mittags weiterreiten und am Abend des vierten Tages in Eibingen ankommen. Doch sollte er es nicht schaffen, gab es noch den Laienbruder Gregorius, den er gegen einen anständigen Lohn angewiesen hatte, Elysa zur Familienburg zu begleiten, wenn er selbst nicht rechtzeitig zurück war.
Doch was nützte es, wenn sie dann fort war – und mit ihr das Wissen, das sie in diesen Tagen gesammelt haben mochte?
Eine unerwartete Sehnsucht stieg in ihm auf. Nein, er würde alles daransetzen, es rechtzeitig zu schaffen. Die Fahrt mit dem Boot verlieh ihm wertvolle Zeit. Es durfte nur nichts dazwischenkommen.
13
E ine außergewöhnliche Versammlung im Kapitelsaal wurde einberufen, bei der Margarete Radulf von Braunshorn das erste Mal begegnete. Sie hatte der Versammlung trotz ihrer Schwäche beiwohnen wollen, denn sie war besorgt über die Vorgänge und erhoffte sich Klärung.
Das Herz noch erfüllt von Trauer und Verdruss, empfand sie Trost beim Anblick des eindrucksvollen Mannes, der sich, groß und hager, mit scharf gezeichneter Tonsur und prachtvollem Gewand auf den kunstvoll geschnitzten Stuhl der Priorin setzte. Er strahlte jene Würde aus, die ansonsten den machtvollsten Kirchenfürsten anhaftete. Radulf von Braunshorn würde sie durch die Dunkelheit zum Licht führen, so wie er es vermocht hatte, den Hagel in Regen zu mildern, wenngleich die Wasser unterdessen den Kreuzhof überfluteten und langsam über den Gang in den Kapitelsaal drangen.
Auch Agnes blickte Radulf hoffnungsvoll an, wenngleich sie kurz den Mund verzog, als sie mit einem Sitzplatz seitlich des Vorsteherinnenstuhls vorliebnehmen musste.
Ida war auch wieder zugegen. Margarete glaubte, einen anderen Ausdruck in ihrem Gesicht zu lesen, ohne ihn genau ergründen zu können.
»Ehrwürdige Agnes, liebe Schwestern«, begann Radulf von Braunshorn in seinem ihm eigenen Tonfall. »Wieder einmal habendie Dämonen trügerische Ränke geschmiedet und uns in Furcht erstarren lassen, denn einer unserer Schwestern ist Schreckliches zugestoßen. Doch
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