Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Gottlosigkeit bezichtigen!«
»Und doch muss ich oft an die Nacht des Kirchenbrandes denken und an die Furcht, die emporstieg, als Ida die Hände zum Himmel erhob und das Feuer vor unseren Augen erlosch.«
Margarete schüttelte erregt den Kopf. »Ein Gottesurteil, Jutta. Sie zweifeln vor aller Augen an ihrer Ergebenheit zum Herrn! Wen kann es geben, der dem Herrn mit größerer Inbrunst dient?« Sie sah Jutta besorgt an. »Was werden sie mit Ida tun? Sie mit einem Strick gebunden ins Wasser stoßen, um zu erfahren, ob das Wasser sie aufnimmt? Oder ein mit Weihwasser besprengtes glühendes Eisen tragen lassen, um zu sehen, ob Gott ihre Hände schützt?« Margarete seufzte. »Es ist unwürdig, und ich bin im Zweifel, ob die Kirche es erlaubt, Gottesurteile an einer Braut Christi zu erproben, die sich doch im Gelübde zum Herrn bekannte.«
»Ich weiß. Doch erinnere dich der Regel: ›Aus Liebe zu Gott unterwirft sich die Braut Christi dem Oberen in vollem Gehorsam und übt diesen Gehorsam auch dann, wenn es hart und widrig zugeht. Sogar wenn ihr dabei noch so viel Unrecht geschieht, schweigt sie und umarmt gleichsam bewusst die Geduld.‹ Die Priorin hat diese Stelle nicht ohne Grund verlesen, sie ist Mahnung und Bitte zugleich. Der Herr wird uns zeigen, dass ihr Gelübde kein falsches ist. Doch sei versichert, Schwester, sie werden die Kreuzprobe an Ida versuchen oder das Psalterbuch kreisen lassen, doch niemand wird sie anrühren wollen.«
Die Tür ging auf, und Ermelindis trat ein, in den Händen eine Schale mit einem gebratenen Huhn.
»Ich bringe euch die kostbarsten Braten, ihr aber rührt sie nicht an?«, sagte sie mit abfälligem Blick auf die Ente, die noch immer auf dem Schemel neben Margaretes Krankenlager stand. »Was entsende ich die Küchenhilfen zum Schlachten, es ist vergebliche Mühe.«
»Die Braten werden gewiss nicht verderben«, erwiderte Jutta beschwichtigend. »Elysa wird bald erwachen und das Huhn zu schätzen wissen, und auch die Ente findet ihre Abnehmer.«
»Nun gut«, meinte Ermelindis unwirsch und verließ die Krankenstube.
Jutta öffnete die Tür zur benachbarten Misericordia, einem kleinen Speiseraum neben der Krankenstube, in dem die Erkrankten die Barmherzigkeit des Klosters bei einem kräftigenden Mahl erfahren konnten, und stellte die Ente und das noch dampfende Huhn auf den schmalen Tisch.
Margarete verspürte einen plötzlichen, heftigen Hunger. Sie setzte sich auf einen der Stühle und machte sich daran, die Ente zu zerteilen.
14
S eit Stunden schon hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Norbert von Koppenstein hatte aus einer der Kisten einen kleinen Ballen flandrischen Wollstoff entnommen, den er auf der Sankt Aigulfsmesse in Provins erstanden hatte, um ihn, in der Mitte auseinandergeschlitzt, mit Clemens von Hagen zu teilen. Dankbar hatte der Kanonikus den trockenen Stoff umgelegt, nachdem er sich seiner triefenden Kleidung bis auf Hemd und Beinkleid entledigt hatte. Nun saßen sie zusammengekauert unter dem kleinen Verschlag am Bug des Prahms, neben den wenigen Säcken, die dort Platz fanden und die der Händler vor dem Regen hatte schützen können.
Der durchdringende Geruch der Gewürze hatte Bilder aus fernen Ländern in Clemens aufsteigen lassen, die er nur aus der Schilderung derjenigen kannte, die von den Stätten der Pilger zurückkehrten. Auch hatte er als Kind mit wachsender Faszination den Berichten der heimgekehrten Kreuzfahrer gelauscht, die das unrühmliche Ende des zweiten Heerzugs verdrängten und von Fabelwesen und Einhörnern zu berichten wussten, von unermesslich reichen Städten und Palästen aus purem Gold. Doch so manchem stand noch Jahre später der Schrecken ins Gesicht geschrieben, den er in einem Land erfuhr, wo Milch und Honig fließen sollten.
Einmal war der Clemens eingenickt, hatte von einem Lammgeträumt, das geopfert werden sollte – mit sieben Hörnern und sieben Augen und dem zugewandt, der auf dem Thron saß, bereit, die Buchrolle mit den sieben Siegeln zu empfangen. Doch er war unsanft aus dem Traum gerissen worden, als das Boot gegen einen Stein schrammte und die Schiffer sich etwas zuriefen.
Der Regen hatte aufgehört und einem dichten Nebel Platz gemacht, der den Schiffern die Sicht nahm. Die Nacht nahte. Wie weit vor ihnen lag Mainz?
»Wir müssen anhalten«, rief einer der Schiffer, »es ist zu gefährlich. Bald wird es dunkel. Überall im Fluss gibt es Stromschnellen und herabgestürzte Bäume. Die Felsen, die
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