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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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beharrte darauf, Ida nicht zum Tor hinausgelassen zu haben, obgleich ihre Augen klein waren und verschlafen. Doch auch nach Agnes’ Ermahnung, umgehend vor ihr zu beichten, wenn sie vom Schlaf übermannt worden war, beharrte Otilie darauf, wachsam gewesen zu sein. Es sei nur Ausdruck ihrer Übermüdung durch die Nachtwachen, die man immerfort von ihr verlange, doch niemals werde sie es zulassen, dass sie am Tag ein Auge schließe.
    Nun kam auch Radulf von Braunshorn zum Westportal hinausgelaufen, dicht gefolgt von Jutta. Der Exorzist nickte, nachdem die Priorin Bericht erstattet hatte. Sein steinernes Antlitz ließ keine Regung erkennen. Ohne ein Wort zu verlieren, schritt er dann erhobenen Kopfes auf den Klosterhof, stellte sich vor die Treppen zum Westportal und nahm einen tiefen Atemzug.
    »Die Erde ist entweiht von ihren Bewohnern; denn sie übertreten das Gesetz, ändern die Gebote und brechen den ewigen Bund. Über euch aber kommen Schrecken und Grube und Netz. Die Erde wird mit Krachen zerbrechen, zerbersten und zerfallen. Die Erde wird taumeln wie ein Trunkener und hin und her geworfen wie eine schwankende Hütte, denn ihre Missetat drückt sie, dass sie fallen muss und nicht wieder aufstehen kann. Und wer entflieht vor dem Geschrei des Schreckens, der fällt in die Grube; und wer entkommt aus der Grube, der wird im Netz gefangen.«
    Von allen Seiten strömten Nonnen herbei, niemand wollte sich die neueste Wendung im Spektakel um Ida entgehen lassen. Auch Elysa konnte sich der unerträglich gewordenen Spannung nicht entziehen. Ida hatte am Morgen gegen die Ränke des Exorzisten bestehen können. Wie war es möglich, dass sie ihren Stand nun derart gefährdete? Elysa glaubte nicht an eine Flucht, eher an eineGeste der Überlegenheit. Wollte sich Ida als Sprachrohr Gottes über Radulfs Anweisungen erheben? Wollte sie ihn mit ihrer Abwesenheit in seine Schranken weisen? Elysa betrachtete das Gesicht des Exorzisten, das sich nun vor Wut verzerrt hatte. Nicht einen Moment zweifelte sie daran, dass es ihm eine willkommene Gelegenheit war, Ida nun endgültig aus dem Kloster zu verstoßen.
    Gerade hob er die Arme zum Himmel, um den gewaltigen Sturm der göttlichen Zucht auf Ida herniederprasseln zu lassen, da erhob sich ein lauter Schrei.
    Die junge Sibille, eine der Novizinnen, zeigte mit kalkweißem Gesicht zum Glockenturm hinauf.
    Hoch oben, auf dem Gesims des eigentümlichen Figurenfrieses, zwischen dem steinernen Bärtigen und dem Sonnenrad stand eine Nonne. Ihr Gewand flatterte im Wind, über ihr brauten sich die Wolken zu unheilbringenden Türmen zusammen.
    Nun schrien auch die anderen.
    Zunächst dachte Elysa, es sei Ida gewesen, die sich über die Brüstung des Glockenturms gewagt und auf dem Gesims Halt gefunden hatte, aber es war nicht Ida, sondern die Oblatin Anna!
    Plötzlich breitete sie die Arme aus, wie zum Flug. Die Schwestern schrien noch lauter, auch der Exorzist schien kurzzeitig die Fassung zu verlieren.
    »Jesu Domine noster«, rief er entsetzt auf, fand aber sogleich zur Räson zurück. Seine Stimme hallte über den Platz, als er Anna zurief: »Verschmäh nicht das Heilmittel der Buße, denn in der aufrichtigen Buße werden auch noch so große Sünden abgewaschen. Der Herr wird sie im Namen seines Sohnes zur Rettung deiner Seele annehmen.«
    Die Nonnen verharrten angespannt und wagten nicht, den Blick vor der zarten Oblatin zu wenden, die nun laut aufschluchzte. Anna schwankte, krallte sich dann aber wieder an derBrüstung der Öffnung zur Schallarkade fest, hinter der sich die Glocke befand.
    Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch kein Laut kam über ihre Lippen.
    »Unterlasse es, dich in Verhärtung in den Tod zu stürzen«, fuhr Radulf von Braunshorn beschwörend fort. »Denn wer sich selbst dem Tod übergibt, ahmt den verworfenen Engel nach, der sich dem Verderben übergab, als er sich selbst tötete. Und wie dieser stolze Teufel nicht auf Gott blicken wollte, so lässt sich auch der Mensch, der sich gewaltsam auseinanderreißt, nicht herbei, Gott zu kennen. Denn er versucht, sich auf den Flügeln des Sturmes emporzuheben und im Himmelsraum zu fliegen, wie ein Vogel in der Luft. Der Mensch, der Leib und Seele hat, darf nicht sich selber töten, solange er Gutes tun und büßen kann, damit er nicht an den Ort kommt, wo er weder Werk noch Buße vorweisen kann und dorthin verstoßen wird, wo auch der Teufel darbt.«
    Anna lachte auf, wirr, wie es schien, denn sie wollte damit nicht

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