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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Tag, als die Handwerker Einzug hielten. Und an ihre Freude, Ditwin wiederzusehen, der einst am Haus ihrer Eltern mit geholfen hatte, ehemals ein Knabe, nun aber ein stattlicher Mann. Sie erinnerte sich an den lüsternen Blick, den Ditwin auch ihr zugeworfen hatte, ungeachtet ihres Standes als Anwärterin. Mit einem Male wurde ihr klar, wer die Nonne gewesen war, die im Laientrakt das Vagantenlied gesungen und beim Geläut der Glocke davongeeilt war – Anna.
    Elysa fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, um ihre Tränen abzuwischen. Was rühmte sie sich ihrer Belesenheit. Nichts hatte es ihr bislang genutzt. Es schien, als liefe sie hinter den Ereignissen her, statt sie zu erahnen und zu verhindern. Sie hatte weder verhindern können, dass Margarete das Pergament verbrannte, noch hatte sie die Gefahr erkannt, in der Anna schwebte. Elysa seufzte. Sie hätte Anna wohl ohnehin nicht helfen können.
    Elysa betrachtete die Nonnen, die nun das Kyrie eleison anstimmten. Dieses Kloster beherbergte eine Herde mit vielen verschiedenen Schafen: fromme und bösartige, kluge und geistesarme. Dort hinten saß Gudrun, die Glöcknerin, sie hielt die rechte Hand, die zuletzt nur ein nutzloses Stück des Gewands halten konnte, mit der anderen fest umklammert, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Neben ihr hockten Ermelindis, scheinbar unberührt, doch mit unstetem Blick, und Otilie, die trotz Tordienst der Messe hatte beiwohnen wollen und finster die Augenbrauen zusammenzog. Auf der anderen Seite saßen die junge Sibille mit verquollenen, rotgeweinten Augen und Margarete, die sich in Tränen aufzulösen schien. Auch Priorin Agnes war der Schrecken anzusehen, ihre Augen lagen dunkel und tief in den Höhlen, doch sie verbarg sich hinter der Maske der Erhabenheit. Wer würde das nächste Opfer sein? Und wo war Ida?
    Ein starker Luftzug löschte die Altarkerze. In der Ferne war ein Donnern zu hören, als wolle die Erde erzittern.
    Elysa sah zum offenen Seitendach. Die ersten Tropfen fielen, am Himmel zuckte ein Blitz.
    Indessen wurde die Altarkerze rasch wieder entzündet, als der Seelsorger Humbert von Ulmen zum Erstaunen aller begann, eine nicht vorgesehene Sequenz zu intonieren:

    » Iudex ergo cum censebit,
    quicquid latet apparebit;
    nil inultum remanebit .«
    Der Richter also wird dann entscheiden, was auch verborgen war, das wird geöffnet werden; nichts wird ungesühnt bleiben.
    Was werde ich Elender dann sagen, welchen Verteidiger werde ich fragen, wenn kaum der Gerechte sicher sein mag?

9
    D er Blick erstreckte sich über sanft ansteigende Hügel bis weit über den Rhein. Die Mäanderstreifen des breit sich dahinwindenden Stromes waren zu einem einzigen weiten Band verschmolzen, noch immer ließ das Wasser nicht vom Ufer ab.
    Clemens von Hagen dachte an die Überflutung im vergangenen März, als der Strom sich weit über die Felder ergossen hatte. In Mainz war das Wasser bis hin zum Domplatz gestiegen und hatte Schäden an Fundament und Südostportal angerichtet. Was aber drohte, wenn nicht nur Regen und Hagel wieder zunahmen, sondern auch der Wind seine Kraft zurückgewann?
    Der Rhein wird vom Ansturm des Meeres in Gang gebracht, hatte Hildegard von Bingen einst geschrieben, ist daher klar und fließt durch sandiges Erdreich. Der Strom, nun aber aufgewühlt in steigender Strömung, hatte den Sand vorangetragen, bis hinauf auf die Wege. Er verwandelte sie in schlammigen Morast und machte ein Weiterkommen zu Pferd fast unmöglich.
    Clemens stieg von seinem Ross, dessen dampfende Hitze die kalte Luft erfüllte. Hier, bei den tückischen Stromschnellen, unweit von Rüdesheim, hatte das Boot an jenem eisigen Novembertag zu schlingern begonnen. Clemens war noch unschlüssig gewesen, wie er Elysa sein Vorhaben vermitteln solle, als sie sich zu ihm setzte, zitternd vor Kälte, in Aufruhr und Sorge. Es war jener Moment, an dem er ein unbändiges Verlangen in sich gespürthatte, ihren zarten Leib vor jeglicher Unbill zu schützen und seinen Mantel um ihre Schultern zu legen.
    Elysa, gottgewollte Schönheit. Die Wangen so von Anmut erfüllt, dass ihr Äußeres die Seele eines jeden, der sie anschaute, belebte. Beim Gedanken an ihr baldiges Wiedersehen tat sein Herz einen unerwarteten Seufzer.
    Irritiert schreckte Clemens auf. Welch bejammernswerte Seele, die, geschaffen, um jenes ewige Licht zu betrachten und durch seinen Glanz erleuchtet zu werden, derart verblendet wird, dass sie sich dem Niederen zuneigt und sich an der

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