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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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jemand hat ihn von Frankreich nach Deutschland zurückkehren lassen. Alles hat sich dann ganz gut entwickelt. Bis er bei einem Autounfall ums Leben kam – zusammen mit seiner französischen Frau. Mein Vater und seine Schwester wuchsen als Waisen auf. Das waren andere Verhältnisse als in der Rue Lauriston. Tante Edwige mochte nicht in Deutschland bleiben. Sobald sie alt genug war, ging sie nach Paris zurück. Anders als mein Vater. Er lehnte Frankreich ab. Mit meinen Eltern war ich nie gemeinsam dort.«
    Diese Melancholie in Davids Stimme. Seine Abneigung gegen die Bilder. Die Andeutungen über seine Familie. Reichte das Mordmotiv weiter zurück, als die Polizei zu recherchieren bereit war?
    »Sie mögen Paris?«
    »Ich bin geradezu vernarrt in die Stadt, aber …«
    »Aber?«
    »Die unklaren Verhältnisse in unserer Familie haben mich immer befangen gemacht. Ich kann nicht guten Gewissens … wissen Sie, wenn man so ein Erbe mit sich herumschleppt, fühlt man, daß man anders als die anderen ist.«
    Mir kam ein Gedanke, ebenso absurd wie scheußlich, der sich nicht abweisen ließ. Ich sah David als Nachkomme von Frankensteins Monster, dessen schaurige Geschichte Mary Shelley in jenem »Jahr ohne Sommer« geschrieben hatte. Aber bevor ich auf diese etwas unheimliche Mischung aus Mitgefühl und Anziehung, die David in mir hervorrief, näher eingehen konnte, holte er mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Sie trinken ja gar nichts. Ihr Champagner wird warm.«
    Er klang, als wollte er sagen Iß, Kind, damit du bei Kräften bleibst! Sein Tonfall schwankte zwischen Unbefangenheit und Nachdruck.
    »… als ich klein war, hatte ich immer wieder einen Traum. Ein Schiff, das in einer Hafenstadt anlegt, in Riga oder Marseille. Es scheinen nur Ratten an Bord zu sein. Sie nagen an einem Kadaver, unklar ob Mensch oder Tier. Durch die neue Umgebung belebt sich ein Keim in dem tot geglaubten Fleisch. Das Untote stiehlt sich von Bord, bevor das Schiff ablegt. Ich verliere es aus den Augen, aber das Gefühl, es richte Unheil an, geht mir nicht aus dem Kopf.«
    Er sah auf die Petersburger Hängung und fixierte den Courbet.
    »Ja, das Bild vom Meer. Das war der Anfang. Man will aus einer Geschichte raus, sein Leben lang. Eines Tages denkt man, man hätte es geschafft, und dann hat man wieder dieses Bild vor Augen.«
    Mir war nicht klar, ob er die Sammlung meinte oder den Traum. Aufs Geratewohl machte ich eine läppische Bemerkung.
    »Dann hat Ihr Vater mit seinem Beruf aus der Not eine Tugend gemacht.«
    »Aus der Not eine Tugend? Ich habe nie begriffen, wie sich einer freiwillig der Chemie zuwenden kann.«
    »Seine Erfindung hat ihn vermögend gemacht, dachte ich, und ihm und seiner Familie erlaubt, ein solches Leben zu führen.«
    »Jetzt ist ohnehin alles anders. Ich muß sehen, wie ich damit zurechtkomme. Andererseits muß ich ihm auch dankbar sein.
    Wer weiß, ob ich als Schauspieler mit dem anderen, dem wahren Namen je ein Leben auf der Bühne oder im Film hätte beginnen können.«
    »Wie war denn der Name?«
    »Oh, ich weiß den Namen nicht. Die letzte, die das Geheimnis kennt, ist Tante Edwige. Sie gäbe es niemals preis.«
    »Der Rechercheur hat nicht recherchiert?«
    »Manche Geschichten muß man ruhen lassen. Mein Vater hat die alten Dokumente vernichtet. Er hatte seine guten Gründe, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    Ich wußte nicht, was er meinte. »Vor Gericht – wußte man davon? Es wurde nicht erwähnt.«
    Ein Asthmaanfall hielt Davids Antwort zurück. Er hustete so laut, daß eine Frau in Kittelschürze aus den Tiefen des düsteren Korridors kam. Sie stürzte auf David zu, flößte ihm Medizin und Wasser ein und wartete, bis der Anfall vorbei war.
    »Danke, Frau Arno«, sagte er atemlos. Die Frau verschwand in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    »Verzeihen Sie. Ich habe das manchmal. Ich bin Allergiker. Seit dem Tod meiner Mutter ist es wieder schlimmer geworden.«
    Er strich erneut mit gespreizten Händen die dichten schwarzen Haare zurück.
    »Schließlich geht es manchen so in diesem Land. Meinem Vater ist die Vergangenheit zum Verhängnis geworden. Die Beschäftigung mit dem Thema hat ihn halb wahnsinnig gemacht.« Davids Blick schweifte wieder zu dem Courbet. »Schauen Sie sich bloß das Pathos an. In diesem Bild geht es nicht um Schönheit. Nicht um Natur. Es geht um Gefühl. Sehnsucht und Wahn. Courbet war ein Ausgestoßener. Man verfolgte ihn in seinem Land. Außenseiter sind gefährlich. Nach

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