Perlensamt
beschlagnahmt worden waren, denn es gab mehrere Gruppierungen wie auch Einzelpersonen, die sich der Kunst bemächtigt hatten. Das eine oder andere Bild hatte der eine oder andere ›Leiter‹ einer Operation sicher für sich selbst abgezwackt. So hätte auch die Sammlung Perlensamt zustande gekommen sein können.
Und dann war da eben noch, wie Mona zu Recht erwähnte, die Schweiz als Umschlagplatz für Raubkunst. Namen wie Wendland und Hofer standen dafür. Der eine war ein in der Schweiz lebender deutscher Kunsthändler gewesen, ein Meister darin, Bilder aus Grauzonen in den Handel zu bringen; der andere ein Vermittler, der Kunst aus dunklen Kanälen – vor allem französische Impressionisten und Werke der klassischen Moderne – in die Schweiz verschob. Schließlich hatten auch das Propagandaministerium und Herr Göring persönlich ihre Leute, die sogenannte entartete Kunst, beschlagnahmte Bilder aus deutschen Museen von München bis Stettin, die die Nazis selbst nicht haben wollten, unter die Leute brachten, um Devisen zu scheffeln. Am 30. Juni 1939 hatte sich im Luzerner Grand Hotel National eine illustre Schar von Gästen zusammen gefunden, um einer Auktion beizuwohnen, die ihre Lose ausschließlich aus deutschem Museumsbesitz rekrutierte. Einlieferer: das Deutsche Reich. Joseph von Sternberg saß dort neben Marlene Dietrich. Das Kunsthändlerpaar Feilchenfeldt war zugegen, Pulitzer jr. und Pierre, der Sohn von Henri Matisse.
Es war denkbar, daß Teile der Sammlung Perlensamt aus solchen Auktionen stammten. Oder Davids Großmutter war eine Kollaborateurin gewesen. Von den Plünderungen privater Sammlungen durch die Nazis und der französischen Kollaboration wußte ich so gut wie nichts. Für mich waren die besseren Viertel von Paris, wo diese Sammlungen beheimatet waren, einfach ein Teil jenes ewigen Europas, dem die unglücklichen Personen aus den Romanen von Edith Wharton entstammten. Personen, die in amerikanischen Familien nicht wahrgenommen oder allenfalls belächelt wurden. Unplausible Gestalten, unbeholfen und wenig lebenstüchtig. Ich mochte diese Figuren. Ihre Charaktere irisierten wie das Licht in den Bildern der Impressionisten. Manchmal strömten sie sogar in ihrem Unglück etwas Zwielichtiges aus. Wegen dieses Zwielichts hatte sich auch Henry James nach Europa aufgemacht und mit ihm die amerikanischen Maler seiner Generation. In Paris, hieß es damals, lernte man den ›Blick‹, der die Wirklichkeit in Kunst überfließen läßt. Nebenbei waren in dem alchemistischen Prozeß Verhältnisse sichtbar geworden, die einem amerikanischen Auge gemeinhin verborgen blieben. Die Schule des Verbergens, die man nur in Europa besuchen konnte.
Auch ich verdanke die Idee, daß das Verborgene mehr ist als die Abschattung des Objektes im Vordergrund, meiner europäischen Erfahrung. Aber Davids Bemerkung Sie wissen ja um die Gegend , wies auf etwas hin, mit dem ich nichts mehr zu tun haben wollte. Was genau war in der Gegend um die Place de Mexico und unterhalb des Friedhofs Passy passiert, in den Straßen Greuze, Lauriston, Petrarque, deren Eleganz ich so bewundert hatte? Als David Perlensamt mir gegenüber diese Andeutungen machte, hatte ich nicht nachgefragt, weil ich mich nicht hineinziehen lassen wollte in eine Geschichte, aus der ich glücklich entkommen war. Verdammte deutsche Vergangenheit. Das war Monas Job.
Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich in Büchern nachschlug, heimlich, für mich allein. In einem einzigen, nämlich ausgerechnet in Hector Felicianos Buch Das verlorene Museum fand ich einen Hinweis auf die Gegend. Vermutlich hatte ich bei meiner ersten Lektüre darüber hinweg gelesen, wie man es manchmal bei Erwähnungen tut, die man für nebensächlich hält. Laut Feliciano hatte in der Rue Lauriston die Bande eines gewissen Bonny Laffont ihr Unwesen getrieben. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Ich schlug noch einmal in den Registern der anderen Publikationen über den perfidesten Kunstraub der Geschichte nach, aber nirgendwo war dieser Name erwähnt. Wer war Bonny Laffont?
»Was zum Teufel suchst du? Sag doch was. Vielleicht kann ich dir helfen. Ist es immer noch der Courbet, der dir Kopfzerbrechen macht?«
Ich erwiderte, daß der Courbet ihre Angelegenheit sei, und verdrückte mich.
An einem der nächsten Abende, kurz bevor ich zu Perlensamt aufbrechen wollte, fiel mir George Duras ein. Er war Anwalt, und ich kannte ihn von einem Pariser Symposium zum Thema Raubkunst. Duras hatte
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