Perlensamt
wohnen Nick und Nora.«
»Wer?«
»Nick und Nora, ein Taubenpaar, zwei chinesische Mövchen. Die Küken hab ich noch von Paps. Wir schickten uns während meiner ganzen Studienzeit Briefe durch Tauben. Viele Leute im Pütt hatten früher weiße Brieftauben.«
»Viele Leute wo?«
»Im Pütt, im Bergbau. Brieftauben stehen für Freiheit, Weite, Höhe und« – sie sprang lachend in die Luft und rundete die Arme wie eine Ballerina über ihrem Kopf: »Eleganz in der Bewegung. Leider stirbt die Tradition aus. Aber das ganze Kohlerevier liegt schließlich in den letzten Zügen.«
Ihre Stimme klang warm. Ich konnte gar nicht anders, als ihr das Märchen von den beiden turtelnden Tauben zu glauben. Ich trat auf den Balkon, der Blick auf die Spree war beeindruckend. Mona würde sich wundern, wenn sie den Plüsch der Perlensamts zu sehen bekäme – samt der Düsterkeit, die man dort für stilvoll hielt.
»Willst du was trinken? Wasser, Wein? Einen Pastis?«
Ich sah mich um.
»Gern.«
»Setz dich aufs Bett.«
Das tat ich natürlich nicht. Ich stand mit dem Glas in der Hand einfach herum. Es war mir unvorstellbar, mich in die aufgetürmten Kissen fallen zu lassen wie ein Pascha auf einen Diwan.
»Warum macht er die Party? Hast du eine Idee, wer diese Leute sind? Große Namen und alle sind miteinander verwandt?«
Mona trug ein einfaches Kleid, kurz und schwarz. Die roten Locken hochgesteckt. Selbstverständlich war meine Hilfe unnötig gewesen. Es hatte kaum eine halbe Stunde gedauert, und sie hatte ihre Wahl getroffen, nachdem sie fünf oder sechs Kleider nacheinander anprobiert hatte. Mit gerunzelter Stirn war sie hinter dem Paravent hervorgekommen und durch den Raum stolziert. Sie drehte sich vor dem Spiegel und kehrte dann zu ihrem Verschlag zurück. Währenddessen murmelte sie zusammenhangloses Zeug, auf das ich mir keinen Reim zu machen wußte … es wird nicht klappen … das nimmt mir keiner ab … traue dir selbst … dein Instinkt für faule Tomaten … man darf nicht pingelig sein … tun, wovor man sich fürchtet … Offenbar vergaß sie, daß sie nicht alleine war.
»Vermutlich, wie bei deiner Freundin Hatty von Schnapsburg.«
Ich wartete auf ein genervtes Sie ist nicht meine Freundin, sie ist … Es kam aber nicht. Mona schien in den Anblick versunken, der sich ihr bot. Sie sondierte offensichtlich die Lage. Gab es etwas, das sie reizte? Sie war durchaus im Stande, Leute zu grillen. Sie hatte bei Geschäftsterminen in größerem Kreis lächelnd über die Koseformen großartiger Namensträger gewitzelt, während Dickie, Klunki und Pösschen von Dingenskirchen daneben standen. Inmitten des hochkarätigen Pulks hatte Mona genäselt Dosenbier? Ich mache nur zwei Arten von Dosen auf, Katzenfutter und Kaviar. Die gepuderten Gören erkundigten sich bereits diskret nach Monas Herkunft, Herbarth, ich bin mir nicht sicher, ich glaube, eine Freundin meiner Mutter ist eine geborene Herbarth, als diese mit Inbrunst zu erzählen begann, wie ihr Vater verschütt gegangen sei.
»Verschütt? Wie meinen Sie das, meine Liebe? Sie kannten Ihren Vater nicht?«
»Im Bergwerk verschüttet, Gräfin Westerhold. Mein Vater ist Hauer gewesen.«
Mir war zum Lachen und zum Weinen zumute. Aber mir verklebte eine solche Meute die Atemwege. Mich erinnerte das Szenario an Stephen Birminghams Our Crowd , ein Buch über die großen alten jüdischen Familien New Yorks, das bei uns zu Hause jeder kennt. Ich habe nie gelernt, mit solchen Verhältnissen umzugehen, obwohl ich gestehen muß, nicht nur dieses Buch, sondern auch andere, die das Innenleben der oberen Krusten schildern, verschlungen zu haben. Überhaupt alles, was von denen da oben handelt. Ich haßte es, ein Aufsteiger zu sein. Rosie stünden die Haare zu Berge, wüßte sie, was ich denke, nein schlimmer noch – wie ich mich fühle. Unamerikanisch hätte sie das genannt und sich angeekelt abgewandt. Daß ich mir eine Sehnsucht, die meine Mutter absurd gefunden hätte, eingestehen mußte, hatte mich immer verwirrt. Ich kam mir ihr gegenüber vor wie ein Versager. Schon als Junge hatte ich mich gefragt, wie es Rosie gelang, einfach darüber hinwegzugehen, woher sie kam und was sie als Kind alles nicht gelernt und gehabt hatte.
Ich hätte gern dazugehört. Das war mir klar geworden, als ich zu Besuch in den Elternhäusern meiner Kommilitonen war. Obwohl es bei uns heißt, man müsse sich nur nehmen, was man nicht hat, hingen die Bronzinos, die Renoirs, die Picassos für mich
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