Perlensamt
Zeitungsnotiz jetzt ein? Was hieß denn unbeteiligt ? Gefühlsstarre? Geheime Vorwürfe, nicht früher am Tatort gewesen zu sein, um das Schlimmste zu verhindern? Aber er hatte es doch versucht. Wie hätte er denn wissen können, daß sein Vater seine Ehefrau umbringen wollte und dann sich?
Mein Mobile klingelte. Es war Mona. »Was geht eigentlich vor? Kommst du noch mal zurück oder wie denkst du dir das?«
»Bin gerade hier raus. Hast du eine Zigarette? Gut, in fünf Minuten im Büro.«
Ich schwang mich aufs Fahrrad, da traf es mich wie ein Blitz. Davids Tante hatte von ihrem Vater als einem unbedeutenden Mann gesprochen. Paul sei ein Kleinbürger ohne Weitblick gewesen. Legt ein Kleinbürger eine solche Sammlung an? Das wäre einmal eine ganz neue Variante. Ein unbedeutender Mann setzt sich mit einer Sammlung ein Denkmal, und ein Enkel identifiziert sich damit. Und das Bild vom Meer war der Anfang. Was für ein Schwachsinn! Woher sollte ein unbedeutender Kleinbürger Macht, Kenntnis und Geld für so eine Sammlung gehabt haben? In der Nazizeit ging ja schon viel. Aber alles dann doch nicht.
ZEHN
Am nächsten Tag rief ich noch einmal bei Perlensamt an. Der Apparat klingelte ins Leere. Zwei Tage später kam eine Einladung von David. Zu einer Party. Ich bat Mona, mitzugehen.
»Warum? Du weißt, daß er mir nicht sonderlich sympathisch ist.«
»Ich will einfach, daß du diese irre Sammlung einmal siehst. Der Courbet ist ja jetzt geklärt – Perlensamt hat wohl nichts damit zu tun. Aber für dich ist es doch interessant, eine solche Privatsammlung zu kennen. Und wenn sich die Gelegenheit so bietet.«
Ich schwindelte. Der tatsächliche Grund, warum ich Mona um ihre Begleitung bat, war wohl, daß ich mich unbehaglich fühlte, seit ich mit Davids Tante gesprochen hatte. Erst Davids Anhänglichkeit, dann sein Verschwinden, seine Unberechenbarkeit und nun die Andeutungen von Edwige über die Familie ihres Bruders. Ich wußte immer weniger, wie ich David einschätzen sollte, obwohl ich immer noch von ihm angezogen war – oder nur von der, wie soll ich es nennen: tragischen Situation? Vielleicht sogar war ich mehr denn je angezogen von dem, was ich mit David erlebte. Ich konnte es mir nicht erklären. Ich wollte ihn wiedertreffen.
»Kommst du?«
»Ich weiß nicht, was ich zu der Party von diesem Typen anziehen soll.«
»Das kann ja wohl nicht das Problem sein.«
»Wenn du mir hilfst, sicher nicht.«
Mona hatte so lange herumgenörgelt, bis ich versprach, zu ihr nach Hause zu kommen. Das Wetter war noch immer schön, aber endlich war es kühler geworden. Mona wohnte in einer ziemlich angesagten Gegend, direkt an der Spree, kein gängiges Wohngebäude, sondern ein ehemaliges Lagerhaus. Der Lastenaufzug hielt auf ihrer Etage und führte mich übergangslos in einen großen Raum. Die Fensterfront war riesig und öffnete den Blick aufs Wasser. Mona stand inmitten eines bunten Durcheinanders, sie glich einer Zirkusprinzessin, die bereit ist, die Löwennummer vorzuführen. Der Raum strahlte trotz seiner Größe eine heitere Atmosphäre aus und demonstrierte erneut Monas Unabhängigkeit gegenüber Konventionen. Was ich an ihr bewundere, ist, daß sie tatsächlich nirgendwohin will. Ehrgeiz ist ihr ebenso fremd wie Neid. Sie liebt alles so, wie es ist. Mir war ganz und gar nicht plausibel, warum ausgerechnet ich dieser Frau, die so sicher mit sich und ihrer Umgebung umzugehen wußte, bei der Kleiderauswahl helfen sollte.
Ein riesiges Eisenbett stand mitten im Raum, rechts und links davon Tische mit Lampen. Daneben Kleiderständer, wie man sie backstage benutzt. Daran hing, den Farben nach geordnet, Monas Garderobe. Auf der linken Seite schloß sich ein Paravent an, bemalt mit chinesischen Motiven. In einer entfernten Ecke war eine lose zusammengewürfelte Küchenzeile. Verstreut im Raum standen ein paar äußerst spartanische Stühle. Neben der Küche befand sich eine Tür, hinter der vermutlich das Badezimmer war. An den rohen Wänden hing Kunst von bekannteren und unbekannten Künstlern der Gegenwart.
»Wenn du nicht hart sitzen willst, mußt du aufs Bett. Meine beiden einzigen Sessel sind gerade zum Aufpolstern weg.«
Sie riß die Fenstertür auf, die zur Spree hinaus ging. Davor lag ein Balkon, der dicht mit Gemüse und Kräutern bepflanzt war.
»Nicht schlecht.«
»Gefällt es dir? Ich hab es selbst renoviert. War eine Bruchbude, als ich das Ding kaufte. Vorsicht, wenn du auf den Balkon trittst, rechts oben
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