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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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gedacht.«
    Sie goß sich nach und winkte dem Kellner mit der Bitte um eine Packung Zigaretten. Plötzlich roch ich die toten Meerestiere überall. Schal geworden in der Farbe, wirkten sie wie Abfall, den das aufgewühlte Meer nach einer Sturmflut an den Strand geschwemmt hat. Aber es war nicht das Meer. Das Meer mit seinen wütenden Wellen war weit fort. Es war die Straße, die zu uns hineingedrungen war und sich mit dem Müll der Tischflut mischte. Ich spürte Ekel in meiner Kehle. Der Kellner brachte die Zigaretten und eine weitere Flasche. Edwige trank ein ganzes Glas in einem Zug und goß sich wieder nach. Ich harrte vor dem Müllberg aus und dachte an den schmierigen Typen, den ich nach Patrique Melcher gefragt hatte. Edwige wurde von ihrer Vergangenheit eingeholt. Ab und zu hielt sie inne, trank, steckte sich eine neue Zigarette an. Ihre Bewegungen wurden schwerfällig und ungelenk. Einmal warf sie ihr Weinglas um. Der Kellner sprang herbei und wechselte das Tischtuch. Sein Blick war neutral, nicht amüsiert, nicht verärgert, nicht sorgenvoll. Edwige hatte hier ihren Platz. Daß sie das Flo und seine Leute nie vergessen hatte, brachte ihr Achtung, vielleicht sogar Zuneigung ein. Schöne Umstände, vielleicht ein bißchen sentimental. Für Edwige waren sie wohl eine Zusatzklausel ihrer Lebensversicherung.
    »Abtreibung wäre mir am liebsten gewesen. Ich hatte kein Verhältnis zu diesem Balg in meinem Bauch. Es war ein Monster, das wuchs, das ich ernähren mußte. Ich wollte mir nicht einmal vorstellen, wie es aussah, atmete, sich bewegte. Ich wollte es loswerden, weil es mir die Zukunft verdarb. Am schlimmsten war die Vorstellung, deswegen nach Deutschland zurückzumüssen, zurück in die muffige Umgebung meiner Eltern. Paul und Léonie Abetz. Sie ahnen nicht, wie Spießertum und Aufsteigerwille unter Wachstuch und Kittelschürze blühten. In Steglitz hatten sie angefangen. Nun hatten sie es in die Fasanenstraße von Charlottenburg geschafft. Die drehten fast durch vor Glück, daß sie in der feinen Gegend jetzt ein Zuhause hatten.«
    »Für Spießer hatten sie einen ausgewählten Geschmack …«
    »… natürlich kann man den Leuten nicht verdenken, daß sie froh sind, wieder etwas zu essen zu haben. Aber bei den Talentlosen geht es bald nur noch ums Essen und ums Geld. Je mehr Geld sie hatten, desto besser aßen sie. Je besser sie aßen – Dosenfutter aus Frankreich und Amerika – desto höher siedelten sie sich an. Unser Vater benahm sich, als hätte jetzt auch er einen akademischen Abschluß, nur weil es zwei Leute im Haus gab, die einen Doktortitel hatten. Er war mittelmäßig genug, um über sich hinauswachsen zu wollen und nicht zu sehen, daß ihm das Format dafür fehlte.
    »Aber in irgendeiner Weise war er doch erfolgreich – sonst hätten sie nicht in diese Gegend ziehen können.«
    Edwige lächelte gequält.
    »Ich habe nie nachgefragt, wie es dazu kam. Die Vergangenheit hat mich nie interessiert.«
    »War es vielleicht Ihre Mutter, die das ermöglicht hat?«
    »Unsere Mutter? Der arme Niemand hatte eine poule à boche heimgeführt. Das Mädel hatte für ihn gelitten. Er war stolz auf seine kleine Französin, auch wenn sie nicht mehr schick war, als er sie aus den Klauen ihrer Landsleute rettete. Er wollte ihr etwas bieten, sie entschädigen für die furchtbare Brutalität.«
    »Brutalität?«
    »Die Beschneidung, nein, Bescherung, nein, so heißt das nicht. Sie müssen entschuldigen, manchmal rutschen mir die deutschen Wörter weg, ich habe so viel vergessen, ich spreche so selten Deutsch. Man hat ihr den Kopf kahl – wie heißt das …?«
    »Man hat ihr den Kopf kahl geschoren?«
    »Ja, das meinte ich, geschoren hat man sie. Das hat man in Frankreich mit vielen Frauen gemacht, die ein Verhältnis mit einem Deutschen hatten. Davor und danach wurden sie vergewaltigt, öffentlich, und dann durch die Straßen getrieben wie Vieh.«
    Sie fuhr sich durch ihr dichtes honigblondes Haar.
    »Heute schimpfen wir auf die Taliban und tun so, als seien wir als Christen zu derlei Vergehen nicht fähig.«
    »Also verbindet Ihre Familie keine noch so entfernte Verwandtschaft zu Otto Abetz und Suzanne de Bruycker«, kommentierte ich rhetorisch.
    »Otto Abetz und Suzanne de Bruycker? Wieso? Wer soll das denn sein? Ach ja, Hitlers Botschafter in Paris! Sie meinen Davids handgesägten Familienstammbaum. Natürlich nicht, das ist Davids fixe Idee. Jetzt verstehe ich, worauf Sie die ganze Zeit hinauswollen! Warum

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