Perlensamt
Mutter antun, nach allem, was man ihr dort angetan hat.‹ Die dachten, ich liefe zum Erbfeind über.«
»Es klingt, als würden Sie Ihre Eltern verabscheuen.«
»Unsinn. Das ist zu viel Emotion. Sie waren mir fremd. Ich verstand sie nicht. Sie hatten ohnehin immer nur auf ihren Sohn gesetzt, den Musterknaben Maurice, aus dem der reizende Alfred wurde. Hat er gut gemacht, mit Frau, Erfindung, neuem Namen. Alfred Perlensamt: Klingt wie jüdischer Sprengstoff. Er trat in den Neuen Jüdischen Berliner Kulturclub – oder wie die Vereinigung heißt – ein. Waren Sie mal da? Na ja, warum sollten Sie. Alles war perfekt, die muffige Bude in der Fasanenstraße, eine zimperliche Frau, die sich in Ennui gefiel, ein dickes Bankkonto, die renitente Schwester im fernen Paris. Nur der Erbe hat gefehlt. Miriam, die Gute, ließ sich nicht schwängern. Sie setzte einfach nicht an. Und dann saß ich in der Patsche. Für Abtreibung hatte ich kein Geld. Ich hätte nicht einmal gewußt, wo ich es mir hätte leihen sollen. Ich mußte also da durch. Ich beschloß, meinen Zustand soweit möglich zu ignorieren und das Kind zur Adoption zu geben. Insgeheim hoffte ich, ich würde es durch die schwere Arbeit verlieren. Ich schleppte, grub ganze Beete um, zwei Meter tief, mit Spitzhacke und Spaten, mischte Erde mit Torf. Ich besoff mich. Aber mein Kind war wie ich ein zähes Tier. Ich war wohl im sechsten oder siebten Monat, genau weiß ich das nicht mehr, jedenfalls sah man mir die Schwangerschaft schon deutlich an, als plötzlich mein Bruder vor mir stand. Das war in der Gärtnerei. Ich erinnere mich, daß ich gerade Ritterspornsetzlinge pikierte. Maurice war angereist in der Überzeugung, er würde mich überraschen. Die Überraschung war Teil seiner Strategie. Aber dann war er überrascht. Er kriegte den Mund gar nicht mehr zu. In seinen Augen stand irgendein Kauderwelsch, als wollte er Hure sagen. Aber da war dieser Neid. Ich hatte etwas, das er wollte. Es war ihm so deutlich anzusehen, daß er sich vom Schicksal ungerecht behandelt fühlte. Und dann fragte er – er hatte sein eigenes Anliegen wohl vollkommen vergessen –, wer der Vater sei.«
Der Ober kam und fragte, ob wir mit dem Essen fertig seien. Er trug die trübe Brühe, in der nun alles durcheinander schwamm, fort und brachte noch einmal die Karte. Mitternacht war vorbei. Eigentlich esse ich um diese Zeit nichts mehr, weil ich danach nicht schlafen kann. Aber ich fürchtete, Edwige könnte vor dem Ende der Geschichte zu erzählen aufhören. Ich bestellte also Crème brulée und einen Espresso. Auch sie orderte noch etwas. Ich war der französischen Sitte, sich endlos vollzustopfen, ehrlich dankbar.
»Und das war Patrique Melcher.«
»Ich weiß nicht, was in dem Augenblick in mich fuhr, vermutlich der Teufel. Aber wenn es der Teufel war, dann habe ich für den Pakt bezahlt. Ich log, daß die Setzlinge ihre Blättchen krümmten. In dem Wissen um die Bewunderung meines Bruders für die feine Gesellschaft erzählte ich ihm die tolldreiste Geschichte von einem verheirateten französischen Aristokraten. Meine große Liebe hätte mich geschwängert, aber, aristokratisch kommt selten allein, seine streng katholische Familie würde der Scheidung seiner Ehe nie zustimmen. Ich kannte tatsächlichen jemanden, der mir als Vorlage diente. In der Nähe von Fontainebleau hatten wir einmal die Gartenanlagen eines riesigen Anwesens restauriert. Der Eigentümer hatte sich ein bißchen in mich verguckt. Er lud mich nach der Arbeit zum Sherry ein und fragte, was ich so vorhätte im Leben. Später, als ich aus England wiederkam, erhielt ich durch diese Bekanntschaft meinen ersten großen Auftrag, und von da an war es nicht mehr ganz so schwer. Egal – er jedenfalls war das Vorbild. Ich klammerte mich daran, um eine Orientierung in meiner Lüge zu haben. Ein bißchen genoß ich es sogar, daß mir meine mißliche Lage ein souveränes Gefühl verschaffte. Meinem Bruder öffnete sich plötzlich der Horizont. Das Landei entdeckte das Meer für sich, jedenfalls schien es, als wollte Maurice, der sich jetzt Alfred nannte, schwimmen lernen. Statt Meeresungeheuern sah er auf einmal fröhlich spielende Delphine. Er war eigentlich wegen der Erbschaft gekommen. Das Hühnchen war gestorben und hatte kein Testament gemacht – es gab auch nicht viel, nur die Fasanen-Straße. Er wollte diesen schummrigen Wohnsitz nicht verkaufen. Das hätte er tun müssen damals, wenn ich darauf bestanden hätte, ausgezahlt
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