Perlensamt
haben Sie denn so um den heißen Brei geredet? David hat einen Knall, eine etwas übersteigerte Art. Ich habe Ihnen doch gesagt: das Geltungsbedürfnis eines vernachlässigten Kindes. Nein, nein, seine Großeltern waren kleine Leute.«
»… das war Abetz auch …«
»Unbedeutend, Sie ahnen gar nicht, wie viele französische Frauen es gab, die sich in einen Boche verliebten. Die Familien duldeten das, im Keller oder auf dem Speicher und in der Garage hinter dem Gerümpel. Sie taten so, als wüßten sie nichts. Dafür gab es Seidenstrümpfe, Gauloises oder Nil , Schokolade, Visa und Champagner. Manchmal waren die schon froh über ein paar Grundnahrungsmittel oder eine Sonderzuteilung Papier. Die Mädchen aus der Gegend des Parc Monceau, wenn Ihnen das etwas sagt, also die höheren Töchter mit den Rembrandts überm Kamin, vögelten – Entschuldigung – mit den Nazijungs.«
In der Heftigkeit, mit der sie sprach, erkannte ich endlich David wieder. Sie hatten offenbar dasselbe Temperament, das ebenso zu Verachtung wie auch zu grenzenloser Begeisterung fähig war.
»… um das Schlimmste zu verhindern. Nach dem Krieg machten es die Alliierten so mit den deutschen Mädels. Gucken Sie mich bloß nicht so ungläubig an – die Amis auch! Manche waren netter, manche weniger nett. Inzwischen waren Strümpfe und Unterwäsche aus Nylon. Die Zigaretten hießen Lucky Strike , und die Schokolade war mit Karamel gefüllt, aber gevö … , Sie wissen schon, wurde dafür auch. Eine Nation von Nomaden, diese Huren und Schieber. Die einzige Nation, die grenzenlos und immer flexibel ist. Sie braucht kein festes Terrain. Volk ohne Raum.«
Sie lachte bitter. Ich rutschte nervös auf meinem Stuhl hin und her, einen günstigen Moment abwertend, um noch einmal auf die Sammlung zu sprechen zu kommen. Inzwischen war sie betrunken genug, mir zu sagen, was sie wußte. Aber lange konnte diese chancenreiche Phase zwischen den geleerten und noch zu leerenden Gläsern nicht dauern.
»Mein Vater hat für sein kleines französisches Hühnchen getan, was er konnte. Sie hatten sich eingerichtet. Alles ein bißchen schwer und düster. Das hielten sie für elegant. Man hätte denken können, Papa hätte in Frankreich was dazugelernt, hat er aber nicht. Und das Hühnchen hatte nicht nur seine Haare verloren. Seine gesamte Erinnerung war ausgelöscht. Nichts mehr von der leichten Eleganz, dem Esprit, die angeblich so französisch sind. Übrig blieb nur eine Geburtsurkunde, ein Eintrag im Familienstammbuch, der auf Frankreich verwies.«
Es war mir unangenehm, wie sie von ihrer Mutter sprach, mit Verachtung, als wollte sie dem Huhn im nachhinein noch einmal die Federn abflämmen.
»Ich habe Papa nicht verstanden. Nicht sein französisches Federvieh und nicht meinen Bruder. Maurice, der nur deswegen einen französischen Namen erhielt, weil er in Frankreich geboren wurde, fuhr ein einziges Mal nach Paris: wegen der Erbschaft. Er wollte mit mir verhandeln. Und sie, selbst als Papa zehn Jahre nach der gemeinsamen Rückkehr starb – er hatte sie gerade in der Fasanenstraße abgeliefert –, blieb, wo sie war. Sie reiste nie mehr zurück in ihr Land. Dieser Groll!
Himmel, natürlich hatte sie nichts vergessen. Sie tat nur so. Ihr Mund war zugeschweißt, die Jahre tabu. Ich wünschte, sie hätte mir nur einmal etwas erzählt. Jeder will doch nur wissen, wie es wirklich war. Auf Es tut mir leid oder Es war furchtbar, was wir taten oder Es war schrecklich, was wir erlebten kommt es doch gar nicht mehr an.«
Wie David schien auch Edwige voller Widersprüche zu sein. Sie behauptete, sie interessiere sich nicht für die Vergangenheit, gleichzeitig reklamierte sie das Schweigen ihrer Eltern darüber.
»Aber woher wußten Sie, daß das alles passiert ist, wenn niemand darüber sprach? Ich meine die Mißhandlungen – das, was Ihrer Mutter und den anderen Frauen widerfahren war.«
Edwige zuckte mit den Achseln.
»Zufall. Papa und sein Hühnchen waren sauer, als ich mich in das Land des Sonnenkönigs aufmachte. Ich ging, weil ich Frankreich wunderbar fand, ein Faible hatte für Eleganz und die in Deutschland nicht fand. Das maoistische Zeug, das damals begann, modern zu werden, die Tendenzen an der Sorbonne, der Existentialismus waren mir schnuppe. Ich wollte nicht Sartres Bücher lesen, sondern Le Nôtres Gartenanlagen studieren. Als ich mich dazu entschlossen hatte und das meinen Eltern sagte, ist es Papa dann so rausgerutscht: ›Wie kannst du das deiner
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