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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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ungeachtet dessen, dass die Lehrerin ihm aufgetragen hatte, »die Seite zu Ende zu lesen«.
    »Die Seite zu Ende lesen!«, spottete Tante Phoebe. »Wie willst du das schaffen, wenn du dich stur weigerst, das Alphabet zu lernen?«
    Helen war sich ziemlich sicher, dass Frank die meisten Wörter auf der Seite lesen konnte, weil sie nach dem »Licht aus!« stundenlang mit ihrem kleinen Bruder die einzelnen Buchstaben übte, auch wenn er sich weigerte, sie laut zu wiederholen. »Ist es wegen Mummy?«, fragte sie dann behutsam, aber er schaute nur mit einem solch sonderbaren Ausdruck in den Augen weg, dass sie sich nicht traute weiterzubohren.
    Wenn Frank ihrer Tante doch nur sagen würde, dass er lesen konnte! Sie konnte es Phoebe kaum verübeln, dass sie ihn unmöglich fand, aber gleichzeitig sah sie auch, dass Frank innerlich um Mummy weinte, genau wie sie.
    »Wenn du diese Seite nicht sofort laut vorliest, sperre ich dich in den Keller!«
    Tante Phoebe fuchtelte mit dem Buch über Franks Kopf, aber er schien es nicht wahrzunehmen. Stattdessen starrte er einfach aus dem Fenster zu einer Gestalt, die sich dem Haus näherte, eine Gestalt, die Tante Phoebe offenbar nicht bemerkte.
    »Na schön. Du hast es nicht anders gewollt. Ab in den Keller mit dir!«
    Und bevor Helen reagieren konnte, schleifte ihre Tante ihn am Ohr in die Eingangshalle zu einer Tür, die ihr noch nie aufgefallen war. Sie konnte gerade noch einen Blick auf eine Treppe erhaschen, die nach unten führte, bevor die Tür sich hinter ihm schloss.
    »Aber dort unten ist es dunkel!«, rief sie und zerrte ihre Tante am Ärmel.
    »Hör sofort damit auf, Kind. Natürlich ist es im Keller dunkel. Er muss seine Lektion lernen.«
    »Das ist nicht fair!«
    Sie unterbrachen ihren Streit, als es draußen an der Tür klopfte. Mit leicht gerötetem Gesicht machte Phoebe auf. Es war der Postbote, der zwei Briefe brachte.
    Dies war, wie Helen wusste, immer der einzige Moment, in dem Tante Phoebe eine Gefühlsregung zeigte. Ein dünner blauer Brief bedeutete Luftpost von Onkel Victor, nach deren Empfang Phoebe sich sofort in den Garten zurückzog, falls es nicht regnete, wo sie sich auf die Bank setzte und den Brief las. Danach kam sie zurück ins Haus und war manchmal sogar für kurze Zeit richtig nett.
    Aber keiner dieser zwei Briefe war blau.
    »Sie haben wohl Ratten im Haus, was?«
    Der Postbote nickte in Richtung Kellertür, hinter der es laut polterte, weil Frank mit den Fäusten dagegen hämmerte. »Ganz schön laute Ratten, nicht?«
    Er grinste ihre Tante an auf eine Art, die nahelegte, dass er wusste, dass der Krach nicht von Ratten stammte. »Kinder brauchen ab und zu eine Lektion«, antwortete Phoebe rasch.
    Der Postbote nickte, ohne darauf einzugehen.
    »Dann will ich Sie nicht weiter stören.«
    Phoebe schloss die Tür hinter ihm und bedeutete Helen, ihr in den Salon zu folgen. Dies war ein Raum, in den sie noch nie zuvor gebeten worden war, obwohl Frank und sie schon einmal heimlich einen Blick hineingeworfen hatten. Es war das hellste Zimmer im Haus und hatte ein großes Erkerfenster, das auf den Rasen zeigte, und einen Kamin mit einer herrlichen Holzverkleidung. Davor standen zwei Ohrensessel, von denen einer etwas kleiner war als der andere, mit breiten Flügeln beziehungsweise Schultern, wie Helen dazu sagte. Neben dem kleineren Sessel stand ein polierter runder Tisch aus dunklem Holz, der nach Bienenwachs roch und eine Sammlung von Silberrahmen barg, darunter ein Porträt von ihrer Mutter in einem verspielten weißen Rüschenkleid, die ein kleineres Mädchen an der Hand hielt, das ein noch viel kleineres Mädchen an der Hand hielt.
    Ihre Mutter hatte die gleiche Fotografie in ihrem Haus auf Borneo gehabt. Das Mädchen in der Mitte, hatte sie Helen erklärt, war Grace, die schon mit fünfzehn durch einen bösen Tumor an der Wirbelsäule gestorben war. Die Kleine mit den schwarzen Augen war Tante Phoebe. Wie seltsam, dass sie im wahren Leben blaue Augen hatte, aber auf dem Bild schwarze.
    »Setz dich.« Ihre Tante deutete nicht auf einen der Sessel, sondern auf den Fußhocker vor dem Kamin, der nicht angezündet war.
    Die Briefe in ihrer Hand waren bereits geöffnet. »Ich habe Neuigkeiten für dich.«
    Im Hintergrund hörte Helen, dass Frank weiter gegen die Kellertür hämmerte. Wenn sie nicht zu viele Fragen stellte, würde ihre Tante ihn vielleicht früher herauslassen.
    »Dieser Brief hier ist von deiner neuen Schule.«
    Helens Gedanken überschlugen

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