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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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selben Ort einzufinden, entließ.
    »Tut mir leid wegen eben«, sagte Maggy glucksend, als sie zu dem Schwesternwohnheim zurückkehrten, das in einem Außentrakt untergebracht war. »Ich hatte nicht die Absicht, dich gleich am ersten Tag in Schwierigkeiten zu bringen. Die Oberschwester scheint es ziemlich genau zu nehmen, nicht? Stammst du aus London? Pops und ich wohnen in Birmingham. Ich hätte auch dort in einem Krankenhaus anfangen können, aber mich haben die Lichter der Hauptstadt gereizt. Pops hat es mir nur erlaubt, weil hier ein Onkel von mir lebt.« Ihr Gesicht wurde etwas ernster. »Ich nehme an, deine Mutter hat dich hierhergebracht?«
    Helen bereitete sich auf ihre übliche kurze Erklärung vor, dass sie bei ihrer Tante lebte. Sie hatte im Laufe der Jahre die Erfahrung gemacht, dass Fremde Tränen in die Augen bekamen, wenn sie von ihrer Mutter erzählte, als wäre ihnen dieser Verlust widerfahren und nicht ihr. Trotzdem, diese Maggy war irgendwie anders. »Meine Mutter ist während des Kriegs an Krebs gestorben. Ich bin bei meiner Tante aufgewachsen.«
    Sie stellte sich auf das übliche Beileid ein.
    »Ich glaube es nicht!« Maggy blieb wie angewurzelt im Gang stehen, sodass eine Gruppe junger Männer hinter ihnen sie beinahe anrempelte. Einer von ihnen blickte zurück zu Helen auf eine Art, die sie an Roger erinnerte, sodass sie zunächst nicht richtig aufnahm, was Maggy sagte.
    »Ist das nicht unglaublich?«
    »Bitte?«
    »Meine Mutter ist auch gestorben. Als ich sechs war. Bei einem Kletterunfall.«
    Maggy redete, als wäre es völlig normal, seine Mutter durch einen Kletterunfall zu verlieren. »Armer alter Pops. Er hat sich viel Mühe gegeben, mich allein großzuziehen. Er ist Arzt, weißt du. Wie alle in unserer Familie, aber ich möchte Krankenschwester werden. Mensch, ich habe noch nie jemanden getroffen, der auch seine Mutter verloren hat, abgesehen von den Mädchen an der Schule, deren Eltern bei Luftangriffen umgekommen sind. Aber das zählt nicht wirklich, oder, weil man mit so etwas im Krieg schließlich rechnen muss.«
    Helen wusste nicht, was sie sagen sollte, aber das spielte keine Rolle, denn Maggy quasselte in einem fort, und es gab ohnehin so gut wie keine Gelegenheit, zu Wort zu kommen. Nebenher, während sie weitergingen, grüßte sie ständig andere Schwesternschülerinnen und sogar das Personal. »Viele hier kennen meinen Onkel, weil er ein recht berühmter Arzt ist«, erklärte sie in einem Ton, als wäre das auch völlig normal. »Hast du schon dein Zimmer gesehen? Meins ist total winzig, aber das wird sicher lustig. Ich teile es nämlich mit zwei richtigen Spaßkanonen. Sieh an! Dein Zimmer ist ja direkt neben meinem. Ist das nicht super?«
    Alles war »super« laut Maggy, wie Helen herausfand. Maggy war ganz anders als ihre alte Freundin Beth, aber ihr Enthusiasmus war ansteckend. Erst als Helen ihre neue Freundin etwas näher kannte, stellte sie fest, dass Maggy auf alle diese Wirkung hatte. »Ein Tonikum«, sagten die Leute und nickten.
    Nun, als Helen sich umblickte in dem kleinen Zimmer, das sie sich auch mit zwei Mädchen teilte – viel hübscher als der Schlafsaal im Internat! –, spürte sie wieder einen Ellenbogen in den Rippen. »Hey! Du willst doch jetzt nicht etwa auspacken? Wir treffen uns gleich alle auf einen Drink. Kommst du mit? Und hinterher gehen wir zu einer Medizinerparty. Du musst unbedingt mitkommen. Es ist dein erster Abend in London. Das müssen wir feiern!«
    An jenem Abend schleifte Maggy sie zu einer Privatfeier in einer Wohnung in einem Stadtteil namens Earls Court. Helen wandte vergeblich ein, dass sie nichts zum Anziehen habe, abgesehen von den Tweedröcken, die Tante Phoebe sorgfältig in den ausgeblichenen, verstaubten braunen Koffer gelegt hatte. Maggy zauberte daraufhin ein rubinrotes Seidenkleid mit einem breiten Gürtel hervor, und Helen kam sich darin vor wie in einem Theaterstück. Sie fühlte sich tatsächlich anders, als sie hineinschlüpfte, wie ein anderer Mensch. Erstaunlicherweise passte es ihr wie angegossen. Maggy und sie waren ähnlich gebaut, obwohl Helen fand, dass Maggy sich in ihrem Körper ungezwungener bewegte, offenbar ohne das nagende Gefühl, an den falschen Stellen Pölsterchen zu haben, das Helen immer plagte.
    Sie hatten sogar dieselbe Schuhgröße. Unglaublich! »Du hast die gleichen Riesenfüße wie ich«, stellte Maggy triumphierend fest, nachdem sie Helen ein Paar hochhackige Schuhe aus dem hintersten Winkel

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