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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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tatsächlich hier war und dass sie heute Abend nicht zurück ins Internat musste oder nach Somerset in das bedrückende Gutshaus, wo Tante Phoebe Bratäpfel backen (obwohl Helen warmes Obst schon immer hasste) und mit dem guten Onkel Victor die Abendnachrichten im Radio verfolgen würde.
    Stattdessen war sie hier! Kurz davor, ihre Ausbildung als Krankenschwester zu beginnen, damit sie anderen Menschen helfen konnte, worin sie, wie selbst Tante Phoebe zustimmte, recht gut war. Und, nicht weniger aufregend, sie würde sich weiterhin dem Malen widmen können. Miss Diamond hatte sich informiert über eine Abendschule, nicht weit entfernt vom Krankenhaus, wo Helen Kurse belegen konnte, falls es ihre Zeit erlaubte.
    »Tschü-hüss!«
    Helen hob den Kopf und sah eine große, strahlende, selbstbewusst wirkende junge Frau – in Hosen! –, die einem älteren Paar zum Abschied winkte, bei dem es sich wohl um ihre Eltern handelte.
    »Nur noch einen letzten Kuss, Schatz!«, rief die ältere Frau, die einen eleganten Pelzmantel trug, obwohl es noch recht warm war für Herbst. Und die Tochter lief zurück, um ihre Mutter zu umarmen.
    »Und dass du uns schreibst!«, rief der Mann mit dem braunen Hut, der daneben stand, und die junge Frau nickte aufgeregt, bevor sie im seitlichen Personaleingang der Klinik verschwand.
    Helen spürte ein schmerzhaftes Reißen in der Brust, als wäre dort ein Band in zwei Hälften zerschnitten worden. Wenn ihre Mutter noch lebte, hätte sie Helen dann begleitet, um sich von ihr zu verabschieden? Ganz bestimmt. Aber Tante Phoebe hatte sich nicht dazu bereit erklärt, und selbst der gute Onkel Victor hatte ihr lediglich angeboten, sie für den Zug nach London zum Bahnhof zu bringen. Die zwei hatten nur Augen füreinander – das war nicht zu übersehen. In gewisser Weise war Helen fast neidisch. Ihre Mutter hatte das nie gehabt mit ihrem Vater, dessen war sie sich nun, da sie erwachsen war, ziemlich sicher. Das Einzige, woran sie sich erinnern konnte, war die schroffe Art ihres Vaters – eine Schroffheit, die er nun an ihr ausließ.
    »Arbeite fleißig in deinem Krankenhaus«, hatte er ihr aus Borneo geschrieben und eine kleine Postanweisung für »Unkosten« beigefügt. »Wir werden vielleicht in ein, zwei Jahren zu Besuch nach England kommen und dich dann wiedersehen.«
    Ihre beiden älteren Brüder schrieben ihr einigermaßen regelmäßig, aber das war es dann. Helen kam es vor, als wäre der Tod ihrer Mutter in Kombination mit der schrecklichen Zäsur durch den Krieg einfach zu viel gewesen. Und trotzdem, dachte sie, während sie ihren Koffer nahm und der großen, hübschen, selbstbewussten jungen Frau folgte, deren Eltern immer noch draußen standen, fühlte sie sich nicht anders als die anderen, obwohl sie vielleicht Grund dazu gehabt hätte. Es war eben so gekommen. Und sie musste sich damit abfinden.
    »Es wird erwartet, dass Sie um sechs Uhr dreißig aufstehen und Ihr Bett ordentlich machen. Wer zu spät zum Dienst erscheint, wird streng bestraft. Die Mahlzeiten werden nach einem strikten Turnus eingenommen. Persönliche Beziehungen jeglicher Art zu den Patienten führen zur sofortigen Entlassung. Und natürlich wird von Ihnen erwartet, dass Sie alle fleißig lernen. Wer bei den Prüfungen durchfällt, wird aufgefordert, die Schwesternschule umgehend zu verlassen. Ist das klar?«
    Die Frau mit den scharfen Gesichtszügen, die vor der Gruppe stand mit einem weißen Rüschenhäubchen, einer steifen blau-weißen Schwesterntracht und dem begehrten, elastischen King’s-Gürtel mit der komplizierten Metallschnalle, den man erst nach bestandener Prüfung bekam, ließ den Blick über die Mädchen schweifen, und Helen musste an das Scheinwerferlicht denken, das über dem Feld in Somerset in jener Nacht kreiste, als die Bombe gefallen war und die arme Mrs Rolls vom Postamt getötet hatte.
    Dann spürte sie einen Ellenbogen in den Rippen. »Mit der legt man sich wohl besser nicht an, was?«
    Helen drehte den Kopf und sah ein fröhliches, rundliches Mädchen mit einem breiten Grinsen und einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen, das sie anstrahlte. »Ich bin übrigens Maggy.«
    »Helen«, erwiderte Helen flüsternd und spürte im nächsten Moment, dass die Augen der Sprecherin sich auf sie hefteten. Errötend senkte sie den Blick und hielt den Atem an. Es entstand eine unangenehme Pause, bis die Frau schließlich die Gruppe mit der Anweisung, sich am nächsten Morgen um Punkt halb acht am

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