Perlentöchter
ihres schmalen Schranks gegeben hatte, der vor Kleidern in sämtlichen Farben des Regenbogens zu bersten schien. »Ich wusste, wir werden Freundinnen!«
Als sie die Treppe zu der Feier hinunterstöckelten, spürte Helen plötzlich eine große Sehnsucht nach ihren Brüdern. Sah man von ihnen einmal ab, hatte sie sich so gut wie nie mit einem Jungen unterhalten. Aber als sie nun den Raum betraten, der mit Kerzen beleuchtet war und so verqualmt, dass der Rauch in Helens Hals kratzte, sah sie, dass viel mehr Männer als Frauen da waren.
Jeder hier schien Maggy zu kennen, obwohl die Leute alle ein paar Jahre älter waren. »Das sind die Studenten von meinem Onkel«, rief sie fröhlich und stürzte sich in die Menge. »Derek, komm mal her und sag Hallo zu meiner Freundin Hellie!«
»Hellie« war eine Koseform, die Maggy sich anscheinend von sich aus angewöhnt hatte, und obwohl kaum jemand Helen so nannte, störte es sie nicht. Derek war ein schüchterner, recht kleiner junger Mann mit einer runden Brille, der mehr Angst vor Helen zu haben schien als sie vor ihm. Tatsächlich stellte sie leicht belustigt fest, dass sie gar nicht so schüchtern war, wie sie gedacht hatte, wenn sie sich mit einem jungen Mann unterhielt. Vielleicht lag es daran, dass sie drei Brüder hatte, auch wenn keiner von ihnen so still und zurückhaltend war wie dieser arme Kerl vor ihr, der kaum fähig war, zwei Worte am Stück herauszubringen.
Was zum Henker sagte er gerade?
Helen lauschte angestrengt, um seine leise Stimme zu verstehen bei der lauten Musik, die aus den Boxen eines Plattenspielers dröhnte, der in einer Ecke des Raums stand. Dann gab er ihr mit einem Zeichen zu verstehen, dass er tanzen wollte. Das war keine positive Neuigkeit. Im Internat hatte Helen, die zu den größeren Mädchen zählte, immer den Part des Mannes übernehmen müssen, und als sie nun versuchte, Derek zu folgen, stellte sie fest, dass sie führte.
»Sorry«, rief sie, aber er schien es nicht zu hören. Jedenfalls störte es ihn wohl nicht, denn er klebte den ganzen Abend an ihrer Seite, und Helen brachte es nicht übers Herz, ihn stehen zu lassen. Auch nicht unter dem Vorwand, zur Toilette zu gehen, wie Maggy es ihr empfohlen hatte, um Jungs loszuwerden, die ihr lästig wurden.
Schließlich, als es so spät war, dass Helen sich fragte, wie um alles in der Welt sie morgen früh aus dem Bett kommen sollten, damit sie pünktlich zum Unterricht erschienen, tauchte Maggy mit einem Glas Rotwein in der Hand auf. Helen hatte standhaft Dereks leises Angebot abgelehnt, ihr einen Drink auszugeben, aber ihre neue Freundin hatte diese Skrupel offenbar nicht. Sie war sogar noch fröhlicher als sonst.
»Amüsierst du dich gut, Hellie?«
Helen nickte, griff aber nach Maggys Arm. »Ich glaube, wir sollten jetzt besser gehen. Es ist schon schrecklich spät.«
»Geh ruhig.« Maggy strahlte den sehr attraktiven jungen Mann an, dessen Arm, wie Helen plötzlich erschrocken bemerkte, um Maggys Taille lag. »Derek wird für dich ein Taxi organisieren, nicht wahr, alter Junge?«
Und so kam es, dass Helen am Ende ihres ersten Abends in London sich allein auf dem Rückweg nach Hause wiederfand. Sie konnte nicht anders, als sich um Maggy Sorgen zu machen, obwohl sie ziemlich sicher war, dass sie mitten in der Nacht nebenan eine Tür zuschlagen hörte.
Am nächsten Morgen stand sie früh auf und zog sich mit Herzklopfen für den Unterricht an. Als sie dort eintraf, war Maggy bereits da und machte einen so sittsamen Eindruck, als wäre sie gestern früh ins Bett gegangen.
»Siehst du ihn wieder?«, flüsterte Maggy ihr zu, als sie ihre Plätze einnahmen.
Helen dachte an die Ausreden, die sie dem armen Derek aufgetischt hatte, und an seinen leicht geknickten Eindruck, als sie ihm erklärte, dass sie am Wochenende keine Zeit habe auszugehen, weil sie für ihre Ausbildung lernen wollte. »Nicht mein Typ«, antwortete sie flüsternd, wie sie eine der Schwarzweißheldinnen sagen gehört hatte, als sie mit Beth im vorigen Sommer im Kino war. »Und du?«
Maggy zuckte mit den Achseln, und Helen war sich ziemlich sicher, dass sie immer noch eine Mischung aus Zigarettenqualm und Wein in Maggys Atem riechen konnte. »Wir werden sehen.«
Im Laufe der nächsten zwei Jahre wurden Helen drei Dinge klar. Erstens, dass sie wirklich ihre Berufung gefunden hatte. Sie liebte es, Krankenschwester zu sein! Es war einfach wunderbar, Menschen zu helfen, die dankbar waren, wenn man sie im Bett
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