Perlentöchter
Hellseherinnen nicht kristallklare Gewissheit über solche Dinge haben?
»Wir sind auch nur Menschen.« Petunia redete, als hätte sie Carolines Gedanken gelesen.
Caroline errötete. »Natürlich.« Sie warf einen Blick auf Petunias Pinnwand, auf der diese über ihre Dienstleistungen informierte. Heilen, Hypnose, Therapie. Hokuspokus, würde Simon das nennen, wenn er hier wäre, obwohl die Horoskopseite seiner Zeitung zu den beliebtesten zählte. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich frage, aber ich habe in Ihrer Broschüre gelesen, dass Sie aus Malaysia stammen. Meine Großeltern waren vor dem Krieg Kautschukpflanzer an einem Ort namens Sarawak. Kennen Sie ihn?«
Petunia schüttelte den Kopf. »Ich bin zwar in Malaysia geboren, habe aber keine Erinnerung daran. Meine Mutter ging mit mir nach England, als ich vier war. Aber sie hat früher auf einer Kautschukplantage gelebt, genau wie schon ihre Mutter und ihre Großmutter. Sie waren Hausangestellte. Es ist durchaus möglich, dass eine von ihnen für Ihre Großeltern gearbeitet hat oder für deren Freunde. Das Leben dreht sich im Kreis, Caroline. Das Leben dreht sich im Kreis.«
Auf dem Rückweg, während ihr der Kopf schwirrte, kam Caroline an einer Galerie vorbei, die ihr schon öfter aufgefallen war, aber die sie nie betreten hatte. Es gab einige Galerien in diesem Viertel der Stadt, aber an der Tür von dieser hier hing normalerweise ein »Geschlossen«-Schild. Heute war die Tür offen, und ein großer Mann, der ihr den Rücken zukehrte, stand in der Galerie und hängte gerade ein Bild auf. Es war ein Porträt von der Klippe, auf der sie nach ihren Spaziergängen mit dem Hund oft verweilte.
»Ein wundervolles Bild.«
Sie atmete die Farben ein – apricot, rostrot, moosgrün, lila-schwarz.
»Es gefällt Ihnen?« Er wandte sich um, und ihr wurde bewusst, dass er älter war, als er von hinten aussah. Ein seltsames Gefühl in der Brust weckte in ihr die Frage, ob sie ihm schon einmal begegnet war.
»Kennen wir uns?« Er nahm seine Hornbrille ab und putzte die Gläser an seinem T-Shirt, bevor er sie wieder aufsetzte, aber nicht ohne dass sie die freundlichen Lachfältchen um seine Augen wahrnahm. »Sie sind doch das Mädchen mit dem Hund, das jeden Morgen oben auf der Klippe sitzt.«
Caroline lachte. »Wohl kaum mehr ein Mädchen, aber danke für das Kompliment. Meine Kinder und ich verbringen hier die Sommerferien bei einer Freundin. Eigentlich bin ich selber Künstlerin.«
Sie gab ihm ihre Karte – sie hatte immer welche dabei.
Er wirkte beeindruckt. »Ich kenne Ihre Arbeiten aus den Souvenirläden.«
Nun wurde sie verlegen. Er dachte bestimmt, dass sie angeben wollte. »Eigentlich haben sich meine Arbeiten geändert, seit ich hier bin. Ich habe festgestellt, dass ich nun ganz andere Dinge ausprobiere.«
Er lächelte, ein nettes Lächeln mit kleinen Fältchen, sodass sie sich fragte, ob sie sich in seinem Alter getäuscht hatte. »Das ist normal hier unten. Meine Frau hat genau dieselbe Erfahrung gemacht.«
Seine Frau? Natürlich hatte er eine Frau! So wie sie einen Mann hatte. Sich in einen gut aussehenden Fremden zu verlieben, wenn man sich frisch von seinem Mann getrennt hatte, kam nur in Kitschromanen vor.
»Warum bringen Sie nicht ein paar Ihrer Arbeiten vorbei?« Er deutete auf die weißen Flächen. »Ich habe diesen Raum erst vor kurzem angemietet. Ich könnte noch gut einen Künstler gebrauchen, der seine Werke bei mir ausstellt.«
Ein wunderbares, warmes Gefühl durchströmte sie, trotz ihrer Gedankenspiele eben. »Danke. Ich weiß zwar nicht, ob sie etwas taugen, aber …«
»Lassen Sie das mich beurteilen.« Er streckte die Hand aus. »Ich heiße Grant.«
»Ich bin Caroline.«
»Ich weiß.« Er lächelte. »Sie wohnen bei der fabelhaft eleganten Diana. Keine Sorge. Niemand hier an diesem Ort kommt mit irgendetwas davon, ohne dass alle anderen es spitzkriegen.«
Caroline konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, obwohl es ihr schwerfiel, so schnell zu gehen wie früher. Mit etwas Glück würden die Kinder noch im Bett liegen, und sie könnte die Bilder auf dem Dachboden durchsehen, um eine Auswahl für Grant zu treffen. Besser, sie beeilte sich – in der Luft lag ein eisiger Wind, und der Himmel verfinsterte sich. Trotzdem, so ein Regentag am Meer hatte etwas sehr Stimmungsvolles, wenn man dort lebte – für Touristen war es eher enttäuschend, aber als halbe Einheimische kam es ihr richtig vor. Normaler.
Sie bog um die
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