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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Rausschmiß und diese Bewegung, fügten sich in Perlmanns Empfinden zu etwas zusammen, was ihn auf sonderbare Weise befreite. Er sah dem Kellner mit unverhohlener Verachtung ins Gesicht.«Wissen Sie, was Sie sind? Un stronzo.» Und weil er nicht sicher war, ob dieses Schimpfwort auch stark genug war, fügte er, die wörtliche Übersetzung benutzend, hinzu:«Ein Arschloch. Ein ganz großes Arschloch.»Das Gesicht des Kellners verfärbte sich. «Stronzo», sagte Perlmann noch einmal und ging hinaus.
    Auf dem Rückweg fuhr er sicherer, und auf einmal verspürte er richtig Hunger – eine Empfindung, die er in den letzten Tagen nahezu vergessen hatte. In einer Stehkneipe aβ er mehrere Stücke Pizza. Im Fernsehen hinter der Theke gingen gerade die Fünf-Uhr-Nachrichten zu Ende, und es wurde eine Wetterkarte eingeblendet. Perlmann starrte auf die Wolken östlich von Genua. Sie waren weiß, nicht grau. Aber das waren die Wolken auf solchen Karten immer. Oder?
    «Kennen Sie die Straße von Genua über Lumarzo nach Chiävari?»fragte er den Mann im Unterhemd, der mit der langen Schaufel die Pizza aus dem Ofen holte.
    «Sicher», sagte der Mann, ohne seine Bewegungen zu unterbrechen.
    «Glauben Sie, daß es dort heute nacht regnet? Beim Tunnel, meine ich. »
    Der Mann hielt abrupt inne, ließ die Schaufel halb im Ofen und drehte sich um.
    «Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?»
    «Nein, nein», sagte Perlmann schnell,«ich muß das wirklich wissen, es ist sehr wichtig. »
    Der Mann im Unterhemd nahm einen Zug aus der Zigarette und sah ihn dann an wie einen ganz einfältigen, vielleicht auch gestörten Menschen.
    «Mann, wie soll ich das denn wissen können?»sagte er milde.
    «Ja», sagte Perlmann leise und ließ ein viel zu hohes Trinkgeld liegen.
     
    «Dieses Gespräch gestern nacht», sagte Perlmann zu Signora Morelli, als sie den gelben Umschlag von Frau Hartwig und ein kleineres Kuvert vor ihn auf die Empfangstheke legte,«ich... »
    Sie faltete die Hände und sah ihn an. Das winzige Zucken ihrer Mundwinkel konnte auch Einbildung sein.
    «Welches Gespräch?»
    Perlmann schluckte und verschob die beiden Umschläge, bis sie genau parallel zum Rand der Theke lagen.«Grazie», sagte er leise und sah sie an.
    Ihr Nicken war nur eine Andeutung.
     
    Das Zimmer roch nach Leskovs süßlichem Tabak. Der Dunst war abgezogen, aber gegen den aufdringlichen Geruch hatte das offene Fenster nichts auszurichten vermocht. Nur kalt war es jetzt. Perlmann kippte einen Berg von Pfeifenasche und angekohltem Tabak in die Toilette und schloß das Fenster.
    Frau Hartwigs Umschlag enthielt zwei Briefe. Der eine war die Einladung nach Princeton, geschrieben auf teurem Papier, das an Pergament erinnerte, und unterzeichnet vom Präsidenten. Die Einladung erfolge aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen, stand da. Und der Präsident versicherte ihm, es wäre für die gesamte Universität eine große Ehre, ihn für eine Weile zu Gast zu haben. Perlmann las den Brief kein zweites Mal, sondern steckte ihn sofort in den Umschlag zurück und warf ihn in den Koffer.
    Das andere war eine Einladung zu einem Gastvortrag. Er sollte eine Ringvorlesung eröffnen, und die Veranstalter legten großen Wert darauf, daß gerade er der erste Redner sei. Es war in dem Brief von Arbeiten die Rede, die er bereits vor drei Jahren abgeschlossen hatte, die aber erst Anfang dieses Jahres im Druck erschienen waren. Damals, dachte er, schien noch alles in Ordnung zu sein. Nur gelangweilt hatten ihn seine Sachen immer öfter. Und ab und zu war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte nicht mehr weiter gewußt. Er hatte dann keine langen Selbstgespräche geführt. Überhaupt kamen bei diesen Gelegenheiten wenig Gedanken. Er hörte Musik, und meistens stand er dabei am großen Fenster. Agnes war dann überrascht, ihn so früh schon am Schreibtisch zu finden.
    Im anderen Kuvert war eine Notiz von Angelini. Er müsse leider heute nachmittag bereits wieder nach Ivrea zurück. Er wünsche ihm gute Besserung. Hoffentlich sei es nichts Ernstes. Er werde versuchen, Freitag zum letzten Abendessen zu kommen, aber sicher sei es noch nicht. Er möge ihn doch auf jeden Fall vor dem Heimflug noch anrufen. Am Schluß stand seine private Telefonnummer.
    Es waren freundliche Sätze, wenn auch konventionelle. Perlmann las sie mehrmals. Er dachte zurück an ihre erste Begegnung und die begeisterten Anrufe danach. Man konnte nicht sagen, daß aus diesen Sätzen hier

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