Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
Enttäuschung sprach. Überhaupt nicht. Auch nicht Distanz oder Kühle. Aber er spürte sie. Er, Philipp Perlmann, hatte sich als eine Fehlinvestition entpuppt.
    Er stellte die Sechs-Uhr-Nachrichten an. Aber auf diesem Kanal brachten sie nur eine schematische Wetterkarte, die ihm nichts nützte. Für morgen keine größere Änderung zu erwarten. Die Straβen waren vorhin fast schon wieder trocken gewesen. Er ging zum Fenster. Jetzt in den sternenlosen Nachthimmel hinaufzustarren war zwecklos.
    Er duschte lange und legte sich dann ins Bett. Das Kissen roch nach Leskovs Tabak. Aus dem Schrank holte er ein anderes. Auch das Laken und die Wolldecke rochen. Er zog das Laken ab und deckte sich mit Ersatzdecken aus dem Schrank zu. Die Heizung verstärkte den Geruch. Er stellte sie ab und öffnete das Fenster. Der Körper vibrierte vor Erschöpfung, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Tablette nahm er keine. In den Sieben-Uhr-Nachrichten sahen die Wolken in der Umgebung von Genua dichter aus als noch vor zwei Stunden. Draußen blieb es trocken. Er fror und holte die letzte Decke aus dem Schrank. Es war zu laut auf der Uferstraße, und er schloß das Fenster. Wenn er um halb sechs losfuhr, war er beim ersten Licht dort. Er stellte den Wecker auf fünf. Gegen acht schlief er ein.
    Er sah keinen Bulldozer und auch keine Tunnelwände. Eigentlich sah er gar nichts. Es fand überhaupt kein Sehen statt. Es war einfach nur so, daß er nicht die Kraft hatte, die Hände vom Steuer zu nehmen. Er hielt es fest und drehte es nach links, immer weiter nach links. Es konnte sein, daß er selbst es war, der drehte. Oder es war zwar etwas in ihm, eine Kraft, ein Wille, aber er war ihm fremd und gar nicht wirklich seiner. Und vielleicht hatte sich das Steuer auch selbständig gemacht und führte seine Hand gegen seinen Willen. Er kannte sich nicht mehr aus, die Eindrücke überlagerten sich, und er wußte nicht, was von allem er am meisten fürchtete. Die Angst lähmte ihn vollständig, und er hatte das Gefühl, die Kontrolle über die körperlichen Funktionen zu verlieren, vor allem über den Unterleib. Das dauerte eine halbe Ewigkeit, in der er jeden Moment den Aufprall erwartete, und dann wachte er mit einem Zucken des ganzen Körpers auf, das etwas Furchtbares an sich hatte, etwas Unheimliches, denn auch es entzog sich völlig seiner Kontrolle, es war ein animalisches, ein biologisches Zucken, das aus einer ganz tiefen Region des Gehirns zu kommen schien.
    Perlmann sprang auf und untersuchte die Matratze. Sie war sauber. Dann setzte er sich auf den Bettrand und rauchte. Von Zeit zu Zeit spürte er den körperlichen Nachhall einer Linksdrehung. Später zog er den nassen Schlafanzug aus und ging unter die Dusche. Es war kurz nach Mitternacht. Die Uferstraße war naß. Doch jetzt regnete es nicht mehr.
    Während der nächsten Stunden wachte er in kurzen Abständen stets aus dem gleichen Traum auf, um dann von neuem einzudösen. Dieses Mal war es kein Alptraum, sondern eine lästige und lächerliche Verbindung von Dingen, die für den Träumenden in keinerlei Beziehung zueinander standen. Da war der Name Pian dei Ratti , der in so dichter Folge immer wiederkehrte, daß er wie ein stetiges Hintergrundgeräusch war, ein unaufhörliches Echo, das den inneren Raum bis in den letzten Winkel ausfüllte. Und dieser Name roch. Er war eingehüllt in einen Geruch von süßlichem Tabak und Nebel, es war, als klebe dieser Geruch an dem Namen, so daß der Name ohne den Geruch überhaupt keine Bedeutung hätte. Dadurch, daß der Name stets da war und hallte, fror man immer und mußte schniefend nach Münzen suchen, die einem fortwährend mit einem schmerzhaften Reiben durch die Finger rutschten. Die Schuhe kippten, und die Frauen lachten. Dann war alles voller gelber Blätter, und es nützte nichts, sich im Kofferraum ganz klein zu machen.
    Perlmann wechselte das Pflaster am Finger. Die Entzündung begann abzuklingen. Bei jedem Aufwachen lüftete er. Draußen fielen nur wenige Tropfen. Der Traum hatte die Zuverlässigkeit und Monotonie einer Schallplatte, bei der die Nadel immer in derselben Rille läuft. Um halb fünf duschte er, rasierte sich und zog sich an.
    «Buon giorno», sagte Giovanni, rieb sich die Augen und sah auf die Uhr.
    Unter der Tür drehte Perlmann noch einmal um.«Dieses Ausgleichstor neulich, das zum Elfmeterschießen führte. Wer hat es erzielt?»
    Giovanni verschlug es fast die Sprache.«Baggio», sagte er dann grinsend.
    «Von

Weitere Kostenlose Bücher