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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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er unten auf der Seite gleich drei Wörter hintereinander nicht kannte. Er zündete eine Zigarette an, und während die Augen an der Zeile haftenblieben, suchte die Hand mit wachsender Ungeduld nach dem Wörterbuch. Die Empfindung der Leere mußte sich oft wiederholen, bevor ihm zu Bewußtsein kam, daß da ja gar kein Wörterbuch mehr sein konnte. Er schreckte auf wie aus einem verbotenen Tagtraum. Das Gesicht brannte. Hastig schloß er den Text in den Schrank und trat fröstelnd ans Fenster.
     
    «Ich müßte schnell mal an den Computer», sagte er kurz darauf zu Giovanni hinter der Empfangstheke.«Etwas an meinem Text überprüfen. Für morgen. »Ein Krampf zog sich vom Nacken bis in den Rücken hinunter, und er hatte das Gefühl, den Kopf kaum mehr drehen zu können.
    Giovanni griff nach einer Schublade und hielt dann inne. Zögernd hob er den Kopf und sah Perlmann unsicher an.«Das Büro... niemand... ich habe Anweisung... Er senkte den Blick und rieb verlegen am Griff der Schublade.
    «Ich verstehe», sagte Perlmann und schickte sich an zu gehen.
    Da sah ihn Giovanni plötzlich grinsend an.«Ach was, bei Ihnen ist das eine Ausnahme.»Er nahm einen Schlüssel aus der Schublade, ging voran und schloß auf.«Mit dem Computer wissen Sie ja sicher selbst Bescheid», sagte er, während er Licht machte,«denn ich... »
    «Natürlich», sagte Perlmann schnell,«vielen Dank. »
    Er hoffte, Giovanni würde sich in den hinteren Raum zurückziehen. Aber er blieb an der Theke stehen, nickte lächelnd und hob leicht die Hand. Perlmann verfluchte die Glastür des Büros. Jetzt mußte er es direkt unter Giovannis Augen tun. Er rückte den Stuhl vor dem Bildschirm zurecht und griff nach dem Schalter an der Rückseite des Rechners. Nichts geschah. Er kippte den Schalter mehrfach hin und her. Keinerlei Wirkung. Er ging um den Tisch herum und besah sich den Schalter. Es war der richtige. Giovanni hob fragend die Brauen und machte Anstalten herüberzukommen. Hastig bedeutete ihm Perlmann zu bleiben: Tutto bene! Seine Hände waren feucht, und der Krampf im Nacken wurde wieder stärker. Mit leerem Blick starrte er vor sich hin. Der Stecker. Langsam rollte er mit dem Stuhl nach hinten und sah unter den Tisch. Alle Stecker in der Dose. Er vermied jeden Blick zur Theke hinüber. Jetzt erst bemerkte er das runde Schloß ohne Schlüssel. Abgeschlossen. Natürlich , die Geschäftsunterlagen. Er drehte sich zum seitlichen Tisch mit den Schubladen und schirmte die Hände mit dem Rücken gegen Giovannis Blicke ab. Die offenen Schubladen enthielten nur Büromaterial, das sah er, sobald er sie einen Spalt weit öffnete. Der Schlüssel für den Computer würde in der schmalen obersten Schublade sein, an deren Schloß der Schlüssel ebenfalls abgezogen war. In der einzigen Dose auf dem Schreibtisch waren nur Büroklammern.
    Perlmann machte zwei langsame Atemzüge. Der Rücken entspannte sich. In die Müdigkeit mischte sich Erleichterung. Daß er beim Aufstehen den durchsichtigen Kasten mit den Disketten bemerkte, hatte damit zu tun, daß das Plexiglas das Neonlicht von der Decke zurückwarf. Er glitt mit dem Stuhl zur seitlichen Ablage hinüber und klappte den Kasten auf. Die Diskette mit seinem Namen war die zweite von vorn. Unter dem Namen stand auf dem Etikett: PERSONAL PAST. MESTRE.
    Perlmann achtete darauf, daß seine Bewegungen für Giovanni gut zu erkennen waren, als er jetzt wieder zum Rechner zurückrollte und die Diskette ins Laufwerk schob. Dann setzte er sich in einer Pose der Konzentration vor den dunklen Bildschirm und simulierte Tippbewegungen. Wenigstens die Diskette konnte er beseitigen. Vielleicht hatte Maria ja nur damit gearbeitet, und der Text war gar nicht auf der Festplatte. Er wurde ruhiger. Mit einem Stift vom Schreibtisch tippte er sich ein paarmal an die Nasenwurzel und steckte das Ende dann zwischen die Lippen, während er zurückgelehnt, mit ausgestreckten Beinen, vorgab, in eine imaginäre Ferne zu blicken. Dann machte er noch ein paar Tippbewegungen, nahm die Diskette aus dem Laufwerk und drückte auf den Schalter. Mit dem Rücken zu Giovanni steckte er die Diskette in den Gürtel unter dem Pullover, klappte den Kasten demonstrativ zu und ging hinaus.
    «Das war’s schon», sagte er,«vielen Dank. »
    Unter dem Säulenvorbau holte ihn Giovanni ein.
    «Sie haben doch gestern nach Baggio gefragt. »
    «Ja?»
    «Er hat heute abend wieder ein Tor geschossen. Gegen Bayern München! »
    «Offenbar ein echter Torjäger»,

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