Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
wollte bloß etwas mit meinem Text ausprobieren – etwas... äh..., das man mit dem Ausdruck nicht machen kann. »
    «Ich weiß, das sagen alle, daß es das gibt. »
    Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, und wieder einmal fragte sich Perlmann mechanisch, ob ihr danach vom Lack nicht die Finger klebten. Du lebst hinter dem Mond. Out. Mega-out.
    «Um welchen der beiden Texte ging es denn?»fragte sie mit einem Lächeln.«Um den übers Erinnern?»
    «Nein, um den anderen», sagte Perlmann und schluckte.
    «Da fällt mir ein», rief sie aus und wandte sich zum Büro,«daß ich Ihnen noch die Diskette geben muß! »
    Während sie den Kasten aufklappte und zu suchen begann, lehnte sich Perlmann mit verschränkten Armen an den Türrahmen. Sie wird es nie erfahren.
    «Das verstehe ich nicht», murmelte sie, setzte sich und ging die Disketten noch einmal durch, langsam, Stück für Stück.«Sie war hier drin, und jetzt ist sie weg.»Sie suchte den Schreibtisch ab und warf ihm zwischendurch ein verlegenes Lächeln zu.«Ich bin doch sonst nicht so schusselig.»Zerstreut und ungläubig überprüfte sie die Schubladen, und an den Fältchen bei den Nasenflügeln konnte man erkennen, wie sie mit dem Ärger über sich selbst kämpfte.
    Plötzlich machte sie eine wegwerfende Bewegung.«Ist ja egal. Ich überspiele Ihnen die beiden Texte schnell noch einmal. »Sie schaltete den Rechner an und schob eine neue Diskette ins Laufwerk.
    In diesem Moment hörte Perlmann die Stimme von Leskov hinter sich:«Fangen wir pünktlich an?»Er drehte sich um. Leskov trug zu dem giftgrünen Hemd eine braune Krawatte, und die graue Weste spannte über dem Bauch.
    «Ecco!» sagte Maria gerade,«zunächst also der Text übers Erinnern... wie habe ich ihn abgekürzt... ach ja, richtig. »
    Er versteht kein Italienisch. Das Überspielgeräusch begann. Perlmann sah unnötig lange auf die Uhr.«Ja, es ist gleich soweit», sagte er.
    Leskov ging auf Maria zu und streckte ihr die Hand entgegen.
    «Un momento», lächelte sie.«Jetzt der andere. Das war... ja, einfach Mestre.»Die Finger flogen über die Tasten.«Ecco!»Wieder das Geräusch. Jetzt gab sie Leskov, der auf den Bildschirm blickte, die Hand. «Good morning.»
    «Unglaublich, wie schnell das geht», sagte Leskov andächtig. Dann zeigte er Maria den Stapel von Kopien, den er unter dem Arm trug.«Der Text von gestern. Nochmals vielen Dank. »
    Während Leskov hinausging, nahm Maria die Diskette aus dem Laufwerk und klebte ein Etikett drauf.
    «Eh... das ist nicht nötig», sagte Perlmann hastig, als sie zum Stift griff. Er ließ die Diskette in die Jackentasche gleiten.«Jetzt können Sie die Texte ja löschen. Die Heiserkeit und das von innen spürbare Zittern in der Stimme machten das, dachte er, zur Karikatur einer beiläufigen Bemerkung.
    «Irgendwann einmal», sagte sie und schaltete den Computer aus.«Aber das hat Zeit. Dieser Rechner hat einen Riesenspeicher! Sie stand auf und sah auf ihre gefalteten Hände hinunter.«Wissen Sie, ich hasse es, Texte zu löschen, die ich geschrieben habe. All die Arbeit und dann ein einziger Tastendruck – paff! »Sie warf die Hände in die Luft und sah ihn mit einem scheuen Lächeln an, das er an ihr noch nie gesehen hatte.«Ich weiß, es ist irgendwie unvernünftig, denn mit den Texten hier drin passiert ja nichts mehr, wenn die Leute einmal weg sind; aber... Nun, so bin ich eben. »
    Perlmann nickte.«Danke», sagte er und klopfte auf die Jackentasche.
     
    Leskov hatte die schriftliche Vorlage bereits verteilt, saß jetzt vorn und schob seine Papiere hin und her. Er umklammerte mit beiden Händen den Pfeifenkopf, als er zu sprechen begann. Von dem Mißgeschick mit seinem Text habe er ja bereits erzählt, sagte er. Sein Ton verriet, daß er sich fest vorgenommen hatte, nicht wieder davon anzufangen. Doch dann, von einer Sekunde auf die andere, wurde sein Gesichtsausdruck abwesend, er rieb mit dem Zeigefinger gedankenverloren an der Pfeife, und man konnte förmlich spüren, wie er erneut in den Sog hilfloser Erinnerungsversuche geriet.
    Wie so oft in diesem Raum verbarg Perlmann das Gesicht hinter den verschränkten Händen, während Leskov Teile seiner Geschichte noch einmal erzählte. Rasch und ohne daß er über die Gründe Klarheit haben wollte, verwandelte sich Perlmanns Empfindung der Schuld in Wut: Es war doch von Leskov ein aberwitziger, unverzeihlicher Leichtsinn gewesen, einen derart wichtigen Text, von dem sein Fortkommen abhing, auf eine

Weitere Kostenlose Bücher