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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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zurück zur Tür.
    Als Perlmann das Fenster schließen wollte, sah er Silvestri in seinem alten Fiat vorbeifahren. Er schnippte gerade eine Kippe zum Schiebedach hinaus und beugte sich dann hinunter, um am Radio zu drehen. Was wäre geschehen, wenn er sich diesem Mann, den er vermissen und doch nie wieder aufsuchen würde, anvertraut hätte?
    Das Telefon klingelte. Er könne nun leider doch nicht zum Abschiedsessen kommen, sagte Angelini. Es sei ihm etwas ganz Unerwartetes dazwischengekommen: Ärger mit einem Übersetzer, den er der Firma empfohlen und der sich dann als Niete entpuppt habe. Perlmann hielt den Hörer fester in der Hand als nötig und hörte genau hin: Nein, es war nicht so, daß Angelini das so ausführlich erzählte, um zu kaschieren, daß es eine Ausrede war. Im Gegenteil, er schien diese Sorge auf beinahe freundschaftliche Weise wirklich mit ihm teilen zu wollen. Ganz so, als habe es keinen Kitschtext, keine Ohnmacht und keine Enttäuschung gegeben.
    «Senta, Carlo», sagte Perlmann aus einer plötzlichen Eingebung heraus, und es fühlte sich an wie ein befreiender Sprung ins Unbekannte,«ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen. Etwas Persönliches. Könnte ich Sie da oben in Ivrea besuchen?»
    Darüber würde er sich sehr freuen, sagte Angelini sofort. Sonntag allerdings... nein, Sonntag ginge es leider beim besten Willen nicht. Entweder morgen nachmittag oder Montag morgen.
    Perlmann zögerte. Leskovs Text war dann längst unterwegs, und an der Universität mußten sie eben noch einen Tag länger auf ihn warten. Das spielte jetzt ohnehin keine Rolle mehr.
    «Montag morgen», sagte er schließlich.«Um neun?»
    «Um Gottes willen, nein», lachte Angelini,«die fallen in Ohnmacht, wenn ich hier so früh auftauche. »Die Pause hörte sich an, als bisse er sich auf die Lippen.«Sagen wir: kurz nach zehn? Und soll ich Ihnen für Sonntag nacht ein Hotel besorgen?»
    Perlmann wehrte ab.
    «Sagen Sie dem Taxifahrer einfach: . Beim Empfang hilft man Ihnen dann weiter», sagte Angelini.
     
    Angelini fragen, ob er diesen Job als Übersetzer haben könne. Oder sonst etwas in der Art. Perlmann rauchte hastig, während er auf und ab ging. Der Entschluß von gestern morgen war eine Sache, die Vorstellung einer konkreten Alternative noch eine ganz andere. Ein heißes, betäubendes Gefühl der Befreiung ergriff Besitz von ihm. Bald verwandelte es sich in die Empfindung, daß der Boden unter ihm wankte. Und dann, von einem Moment auf den anderen, wurde er verzagt. Wie war das mit einer Arbeitserlaubnis für Italien? Und was hatte er überhaupt vorzuweisen? Keine Sprachprüfungen, keine Diplome, nichts. Würde sich Angelini darüber hinwegsetzen? Konnte er das so einfach? Auch wenn er nicht direkt unter ihm arbeiten müßte: Irgendwie wäre er in Zukunft abhängig von diesem smarten Mann mit den gut geschnittenen Anzügen und den locker sitzenden Krawatten. Ganz plötzlich sah Perlmann sein Chef-Gesicht vor sich, das er aufgesetzt hatte, als ihm die Sache im Rathaus zu bunt wurde. Damals war dieses Gesicht nicht mehr zu ihm durchgedrungen, es hatte der Welt angehört, die mit jeder Minute weiter wegrückte. Jetzt, wo er sich ein Leben vorstellte, in dem dieses Gesicht herumgeistern würde, kam es ihm hart, brutal und abstoßend vor. Und dann der Altersunterschied, der bereits am Montag nicht leicht sein würde: der Ältere als Bittsteller beim Jüngeren. Er konnte es immer noch abblasen, dachte Perlmann. Ein Anruf genügte. Und die Flugbuchung für Sonntag würde er einfach stehenlassen.
     
    Im Reisebüro war er der letzte vor der Mittagspause. Er kaufte den Flugschein für den nächsten Tag und zahlte einen horrenden Preis, weil es wegen der kurzfristigen Buchung keinerlei Vergünstigung gab. Für Montag ließ er einen Platz auf dem Nachmittagsflug von Turin nach Frankfurt reservieren. Vielleicht habe ich, wenn ich in dieser Maschine sitze, bereits einen neuen Job. Schließlich noch das Hotel in Ivrea. Der junge Mann mit den langen Haaren und den vielen silbernen Ringen an den Händen wurde bei der Telefoniererei ungeduldig und sah häufig auf die Uhr an der Wand. Perlmann wagte nicht abzulehnen, als sich endlich ein Zimmer zu einem Wucherpreis fand. Um hinauszugelangen mußte er an dem Schlüsselbund drehen, den der andere Angestellte vorhin beim Abschließen hatte steckenlassen.
    Der Wind war stärker geworden, die Wolken trieben vom Meer her rasch über die Stadt, und immer von

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