Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
dürfte nicht allzu selten der Fall sein», entfuhr es Perlmann.
Ihre Hand mit dem Hörnchen hielt mitten in der Bewegung inne.«Du magst ihn nicht besonders, nicht?»
Perlmann nahm einen Schluck Kaffee. Das Gehirn schwamm.«Ich finde ihn ganz in Ordnung», sagte er,«freilich leidet er nicht gerade unter einem Mangel an Selbstbewußtsein. »
Sie lachte.«Das stimmt. Etwas allerdings gibt es, mit dem er überhaupt nicht zurechtkommt, und das ist Lauras Art von Ironie. Da wird er ganz hilflos und zappelt wie ein kleiner Junge. Aber sonst fühlt er sich allem gewachsen – um es einmal so auszudrücken. »Sie faßte sich an den Pferdeschwanz, und auf der Stirn erschien der rötliche Streifen.«Neulich in der Sitzung habe ich mich sehr darüber geärgert, wie er mich behandelt hat. Irgendwie herablassend, fand ich. – Aber gespielt hat er wunderbar, gestern abend, fandest du nicht auch?»
«Ja... doch», sagte Perlmann mit einem Stocken, als sei er über eine Schwelle gestolpert.
Nur die Verzögerung in der Bewegung ihres Messers verriet, daß sie das Stocken bemerkt hatte.«Ich wünschte, ich hätte auch ein Instrument gelernt», sagte sie, und erst jetzt sah sie ihn an.«Papa hat mich gedrängt; aber damals hatte ich irgendwie keine Lust. Juan, mein kleiner Bruder, hat es besser gemacht. Er spielt Cello. Nicht besonders, aber es macht ihm Spaß. »
Und du, spielst du ein Instrument? Er mußte die Frage um jeden Preis verhindern, und so fragte er sie weiter nach juan und der ganzen Familie, einschließlich der Großeltern, man hätte meinen können, er suche Stoff für eine Familiensaga.
Sie waren unter der Tür des Speisesaals, da kamen von Levetzov und Millar die Treppe herunter. Sie warfen sich einen Blick zu, der Evelyn Mistral nicht entging. Sie hob den Arm, machte mit den Fingern eine gezierte Bewegung wie bei einem Triller auf dem Klavier, hängte sich lächelnd bei Perlmann ein und steuerte ihn durch die Tür hinaus auf die Freitreppe zu. Erst auf der Promenade unten sah sie ihn an, und dann brachen sie beide in Lachen aus.
Sie blieb bei ihm eingehängt, während sie am Hafen entlangspazierten. Das Gehen tat Perlmann gut, und der Druck über den Augen ließ allmählich nach. Eingehüllt in die restliche Nachwirkung der Tablette, die wie ein schützender Filter über allem lag, überließ er sich der Einbildungskraft, die ihm sagte, daß er diesen strahlenden Herbstmorgen mit den feinen Nebelschwaden über dem glatten, funkelnden Wasser genoß. Die Gegenwart war zum Greifen nahe, als ihm Evelyn Mistral, die das Haar inzwischen gelöst hatte, Salamanca beschrieb, und er war ganz sicher, daß das sein nächstes Reiseziel sein würde.
Als sie um die Ecke bogen und plötzlich vor einer Kirche standen, trat gerade ein Brautpaar heraus. Er wünschte, das Fotografieren, Gratulieren und Scherzen würde noch viel länger dauern, und war enttäuscht, wie schnell alle plötzlich in die Autos stiegen und übermütig hupend wegfuhren.
Schließlich hängte sich Evelyn Mistral erneut bei ihm ein und zog ihn sanft fort. Es sei schon bald halb zwölf, meinte sie, und sie habe heute noch viel vor.«Morgen in vierzehn Tagen bin ich ja schon dran!»Maria schreibe zwar bereits an ihrem ersten Kapitel, aber im zweiten gebe es noch so viele Lücken und Ungereimtheiten, es sei zum Verzweifeln.«Und wenn ich dran denke, daß da Brian, Achim und Adrian sitzen werden... »
Auf dem Rückweg hatte Perlmann das Gefühl, daß sein Schluckreflex nicht mehr funktionierte und daß er ihn alle paar Sekunden durch eine vorsätzliche, beinahe schon geplante Handlung ersetzen mußte. Das habe nichts zu bedeuten, sagte er, als sie ihn fragte, warum er plötzlich so schweigsam sei.
Im Hotel zog er die Vorhänge zu und legte sich ins Bett. Es war verblüffend, dachte er, wie wenig er sich im Inneren gegen das konventionelle Getue vor der Kirche aufgelehnt hatte. Wie hatte die Braut eigentlich ausgesehen? Ihre Gesichtszüge waren auf einmal seltsam verwischt, und er versuchte vergeblich, dem Gesicht seine scharfen Konturen zurückzugeben. Darüber schlief er ein.
Es war schon nach drei Uhr, als er aufwachte. Er duschte lange, ließ Kaffee und ein belegtes Brot kommen und setzte sich dann an Leskovs Text. Heute wollte er fertig werden. Damit er morgen mit seinem Beitrag beginnen konnte. Bei der Trattoria würde er nur ganz kurz vorbeigehen, um nach Sandra zu sehen und sie wegen der Klausur zu beruhigen.
Sinnlicher Gehalt? Es dauerte
Weitere Kostenlose Bücher