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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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gewesen, wenn sie stunden- und tagelang auf dichte Szenen gewartet hatte, in Kneipen, auf Bahnhöfen, am Strand, einmal sogar bei einem Boxkampf, den sie verabscheute. Wenn dieses Warten dann sogar ihre Geduld überstieg, war sie in Versuchung geraten, wieder zu rauchen.
    Laura Sand dachte ganz anders. Sie dachte in Farben und Stimmungen, und was sie im Laufe des Nachmittags darüber sagte, stand in einem derart schreienden Gegensatz zu ihrer Vorliebe für schwarze Kleidung, daß Perlmann mehrmals drauf und dran war, sie darauf anzusprechen. Sie brauchte lauter Farbwörter, die er noch nie gehört hatte, und als sie merkte, daß er aus dem Staunen nicht herauskam, lachte sie ihr kehliges Lachen und fuhr fort:«... edium flesh, canary yellow, rose madder lake, magenta, true blue, sap green, sanguine... »
    Nein, an Menschen sei sie nicht interessiert – »beim Fotografieren, meine ich». Zuerst habe sie nur Landschaftsaufnahmen gemacht, und später, im Zusammenhang mit dem Beruf, seien Tiere dazugekommen. Die Schnappschüsse im Urlaub mußte David machen.
    «Er hält mich für eine Misanthropin», lächelte sie. Und nach einer Pause fügte sie hinzu:«Er kennt mich gut. Deshalb überläßt du die Affensprache anderen, hat er neulich wieder gesagt, Affen sind dir schon viel zu sehr wie Menschen.»
    Impressionistische Fotografie, so nannte sie ihr Ideal.
    «Eigentlich eine Unmöglichkeit. Das physikalische Geschehen ist viel zu dicht. Ich bin zur Expertin im Herausfiltern geworden. Meine Theorie ist nämlich», lachte sie,«daß es viel mehr auf die Lücken, auf die Leere ankommt als auf das andere. David und Sarah mokieren sich seit Jahren darüber, und auch in Davids Pokerrunde ist meine Theorie so etwas wie der allmonatliche Standardwitz: Wir bauen die Häuser in Zukunft mit einer Menge Leere, das ist billiger! Na ja. Ist ja auch eine verschrobene Theorie, und manchmal verstehe ich sie selbst nicht. »
    Von ihr, dachte Perlmann, wäre keine Bemerkung zu befürchten, wie sie Agnes damals auf dem Flughafen entschlüpft war. Auf dem Rollband stehend hatte er sich nach einem großen Werbefoto von Hongkong umgedreht, einem Bild mit sanften, samtenen Konturen, einem verträumten Bild. Schön kitschig , hatte Agnes gesagt, ein biβchen wie deine Art, die Welt zu sehen . Dann hatte sie sich, wohl erschrocken über die herausgerutschte Bemerkung, lachend bei ihm eingehängt und den Kopf an seine Schulter geschmiegt. Nicht böse sein, hatte sie leise gesagt, als sie spürte, wie steif er weiterging. Bei der Paßkontrolle hatte er sich nicht, wie gewohnt, noch einmal umgedreht. Nach seiner Rückkehr hatten sie sich beide große Mühe gegeben; sie war besonders aufmerksam, und er erzählte mehr als sonst. Über die Bemerkung wurde nie mehr gesprochen. Aber er war für einige Zeit ziemlich einsilbig, wenn sie ihm ihre Bilder zeigte. Zwischen ihnen war ein feiner Riß geblieben, kaum sichtbar und doch nie ganz vergessen.
     
    Es war bereits Nacht, als sie das Hotel betraten. Nachdem ihnen Signora Morelli die Schlüssel gegeben hatte, hätte Perlmann gern zum Ausdruck gebracht, daß ihm die vergangenen Stunden etwas bedeutet hatten. Aber die paar Schritte bis zum Aufzug ließen ihm nicht genügend Zeit, die Worte zu finden, und als ihn Laura Sand fragend ansah, war alles, was sich zu einem passenden Satz hätte entwickeln können, wie ausgelöscht. Er hob die Hand mit dem Schlüssel, es klirrte leicht, und dann ging er allein die Treppe hinauf und war froh, daß inzwischen niemand etwas an der schummrigen Beleuchtung seines Flurs geändert hatte.
    Es war purer Unsinn, dachte er unter der Dusche: Was für einen Argwohn sollte sie denn schöpfen? Er hatte sie gefragt, ob severing ein passendes Wort für das Spalten einer Persönlichkeit wäre; dann hatten sie eine Weile über cracking geredet; schließlich hatte sie ihm lachend die australische Wendung cracking hardy erklärt. Danach hatte es einen Moment geschienen, als wolle sie ihn nach dem Grund für sein besonderes Interesse an diesen Wörtern fragen, aber es war ihm gelungen, das Thema zu wechseln. Nein, es konnte wirklich keine Rede davon sein, daß er sich verraten hatte.
    Auf dem Bett liegend dachte er von neuem an Agnes und das Besondere ihrer Fotografien. Einmal hatte sie monatelang nur Gesichter uralter Menschen fotografiert, es war wie eine Sucht gewesen. Die Serie war ein Hit geworden. Sie hatte ein Auge für Details gehabt, einen Blick, so schien es, der einer

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