Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
streitig machte, mit der er, Perlmann, sich seit zwei Wochen oben in seinem Zimmer gegen die anderen, und nicht zuletzt gerade gegen ihn, verteidigte. Und ich Idiot habe ihn auch noch selbst dazu animiert. Weil ich meinte, ihm ein Zeichen geben zu müssen. Ich beflissener Idiot.
Er dankte Millar, um ihn dadurch zu stoppen, aber jetzt schaltete sich auch Laura Sand ein, die Perlmann mit einem Lächeln an das nachmittägliche Gespräch über andere englische Wörter erinnerte. Achim Ruge stellte einmal mehr seine erstaunliche Sicherheit im Englischen unter Beweis, und während des gesamten Nachtischs bildeten diese Dinge das Gesprächsthema.
«Sie brauchen das wohl für Ihren Text über Sprache und Erinnerung, nicht wahr?»fragte Millar schließlich.
Perlmann spürte, wie seine Hände gefroren. Er wollte um keinen Preis nicken und nickte doch.
«Ich bin wirklich sehr gespannt darauf», sagte Millar, und durch die anschwellende Hitze im Gesicht hindurch nahm Perlmann wahr, daß er es ganz ohne Argwohn und Tücke sagte.
«Man hat den Eindruck, Sie arbeiten Tag und Nacht daran. Na ja, in... warten Sie... in zwei Wochen können wir es ja lesen. »
Bevor Perlmann den anderen in den Salon folgte, ging er auf die Toilette und hielt das Gesicht in die Wasserschale, die er mit den Händen formte. Es sind nur noch elf Tage. Spätestens am Donnerstag morgen muß Maria den Text haben.
«Wenn ich heute wieder spiele, ist es bereits ein Ritual», sagte Millar gerade, als Perlmann den Salon betrat.
Von Levetzov und Evelyn Mistral klatschten. Millar grinste, knöpfte den Blazer auf und ließ sich nach einer angedeuteten Verbeugung auf der Klavierbank nieder. Er spielte Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier.
Minutenlang saß Perlmann mit geschlossenen Augen da und stemmte sich mit aller Kraft nach innen, um zu verhindern, daß die Panik in ihm hochschoß wie eine Fontäne. Wenn ich in etwas drin bin, kann ich sehr schnell schreiben. Das weiß ich. So etwas ändert sich auch nicht. Um hineinzukommen brauche ich einen Tag. Oder zwei. Dann bleiben neun Tage. Siebzig, achtzig Arbeitsstunden. Ich kann es noch schaffen.
Die Verkrampfung ließ ein bißchen nach, die Musik drang zu ihm durch, und vage, wie aus weiter Ferne, meldete sich die Erinnerung an Bela Szabo, der sich mit dem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht wischte. Perlmann griff nach diesem schemenhaften Bild wie nach einem rettenden Instrument, er zwang es herbei und starrte es an, bis es klarer und dichter wurde und nach und nach eine ganze Szene freigab, die in ihrer wachsenden Lebendigkeit die flackernde Angst zurückdrängte.
Als er Perlmann die Episode mit heiserer Stimme erzählte, hatte Szabo zusammengekrümmt dagesessen, die Ellbogen auf die Knie gestemmt, den Kopf in den Händen. Schostakowitsch, der als Juror zum Bach-Wettbewerb in Leipzig entsandt worden war, hatte ihn beim abschließenden Buffet angesprochen. Szabos Komposition sei nicht schlecht, habe er gesagt, sie sei durchaus gefällig, und sogar ein bißchen mehr. Aber noch nicht wirklich ein Einfall.
Während draußen vor dem Konservatorium Lastwagen vorbeidonnerten, hatte Szabo diesen Satz stets von neuem wiederholt, und in der Bitterkeit seiner Stimme hatte die Gewißheit gelegen, daß er ihn nie würde vergessen können. Perlmann war aufgestanden und hatte trotz der Hitze das Fenster zugemacht.
Dabei habe sich Schostakowitsch damals in Leipzig als ein ausgemachter Feigling entpuppt, hatte Szabo gesagt, während er sich mit dem Taschentuch übers Gesicht fuhr. Als er öffentlich auf einen nicht gezeichneten Artikel in der Pravda angesprochen worden sei, in dem Hindemith, Schönberg und Strawinski als Obskuranten und Lakaien des imperialistischen Kapitalismus gebrandmarkt wurden, habe er, wenn auch zögernd, erklärt, er stimme dem zu. Er habe seinen Ohren nicht getraut, sagte Szabo, und dann hatte Perlmann gesehen, wie das Blut in der violetten Zornesader pulsierte, die an seiner bleichen, alabasternen Schläfe hervorgetreten war. Diese Art von Feigheit, hatte Szabo herausgepreßt, sei mitverantwortlich gewesen für die blutige Niederschlagung des Ungarn-Aufstands, an dessen Ende sie seinen Vater an die Wand gestellt hatten. Vielleicht eine Minute lang hatte Szabo mit geballten Fäusten dagesessen. Dann hatte er Perlmann mit seinen wäßrig grauen Augen angeblickt, die denen von Achim Ruge nicht unähnlich waren. Warum erzähle ich Ihnen das alles? Let’s get back to
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