Pern 04 - Drachensinger
dachte sie, vielleicht ist Audiva eine neue Schülerin. Jedenfalls spielte sie weit sicherer als danach Briala, die offensichtlich Probleme hatte, die Noten überhaupt zu lesen.
Talmor bat Briala, die Noten zur Übung noch einmal abzu-schreiben. Pona, die als nächste drankam, war nicht besser als die beiden anderen. Das blonde Mädchen mit den wachen, lauernden Zügen spielte zwar laut und kräftig, aber mit vielen Ungenauigkeiten. Als Menolly endlich an der Reihe war, konnte sie kaum noch zuhören.
»Bitte«, sagte Talmor mit einem Seufzer, der seine eigene Niedergeschlagenheit ausdrückte.
Menolly empfand es als solche Erleichterung, das Stück richtig zu spielen, daß sie unbewußt das Tempo beschleunigte und die Begleitung selbständig abwandelte.
Talmor schaute sie nur an. Dann schluckte er und preßte die Lippen zusammen.
»Hmm, ja. Du kennst das Stück?«
»Nein. Solche Musik wurde in der Halbkreis-Bucht kaum gespielt. Aber sie klingt schön.«
»Du hast das zum erstenmal gespielt?«
Erst jetzt begriff Menolly, was sie getan hatte – die anderen Mädchen erniedrigt. Sie bemerkte das kalte, feindselige Schweigen, die bösen Blicke. Aber ihr war immer eingebleut worden, daß man beim Spiel sein Bestes geben mußte. Zu spät fiel ihr ein, daß sie mit ihrer verletzten Hand eine Ausrede gehabt hätte. Aber sie hatte es so genossen, die Musik nach der elenden Stümperei richtig vorzutragen …
»Ich kam ja als letzte dran«, machte sie den schwachen 96
Versuch, die Situation zu retten. »Ich hatte mehr Zeit, mir die Noten einzuprägen und …«
… und zu sehen, wo die anderen ihre Fehler machten, hatte sie sagen wollen.
»Schon gut«, warf Talmor hastig ein. Vermutlich war auch ihm die Reaktion der Mädchen nicht entgangen. Dann fügte er beinahe verärgert hinzu: »Wer hat dir denn gesagt, daß du in meine Klasse kommen sollst? Ich dachte …« Ein Kichern unterbrach seine Frage, und er warf den Mädchen einen wütenden Blick zu. »Nun?« wandte er sich wieder an Menolly.
»Ein Geselle …«
»Wer?«
»Ich kenne ihn nicht. Ich war im Hof, und da schickte er mich hierher.«
Talmor rieb sich das Kinn.
»Ich werde der Sache nachgehen.« Er schaute die anderen Mädchen an. »Wir spielen jetzt das Ganze …«
Die Mädchen starrten betont zum Eingang, und er drehte sich um.
»Ja, Sebell?«
Menolly warf einen Blick über die Schulter, um den Mann zu sehen, dem das zweite kostbare Echsen-Ei gehören sollte.
Sebell war ein schmächtiger Mann, kaum eine Handbreit größer als sie, und er schien Braun zu bevorzugen: braunge-brannte Haut, Haar und Augen hellbraun, braun gekleidet, mit einem verwaschenen Lehrlingsabzeichen in der Schulterfalte seiner Jacke.
»Ich suche Menolly«, sagte er und schaute sie ruhig an.
»Ich hatte schon gehofft, daß jemand das tun würde. Man hat sie versehentlich hierher geschickt.«
Talmors Stimme klang verärgert, und er gab Menolly mit einer knappen Geste zu verstehen, daß sie Sebell begleiten solle.
Menolly erhob sich von ihrem Hocker und warf einen fragen-97
den Blick auf ihre Gitarre.
»Die brauchst du jetzt nicht«, meinte Sebell, und so legte Menolly das Instrument ruhig auf ein Regalbrett.
Sie spürte, wie die Mädchen ihr nachstarrten, und wußte, daß Talmor mit seinem Unterricht erst weitermachen würde, wenn sie den Raum verlassen hatte. So erleichterte es sie ungemein, als die Tür hinter ihr und dem stillen, braunge kleideten Mann ins Schloß fiel.
»Wo hätte ich mich denn einfinden sollen?« fragte sie, aber er winkte sie die Treppe hinunter.
»Du hast keine Nachricht erhalten?« Seine Augen musterten sie aufmerksam, aber seine Miene verriet nichts von seinen Gedanken.
»Nein.«
»Aber du warst doch zum Frühstück in Duncas Pension?«
»Gewiß …«
Menolly konnte ihre Abscheu nicht ganz unterdrücken. Dann, als ihr die Wahrheit dämmerte, hielt sie den Atem an und sagte leise: »Sie wird doch nicht …«
Sebell nickte. In seinen braunen Augen las sie, daß er die Lage durchschaute. »Und du konntest noch nicht wissen, daß du im Zweifelsfall zu mir kommen …«
»Zu dir?« Hatte Piemur nicht erwähnt, daß Sebell erst vor kurzem den Tisch gewechselt, also Geselle geworden war?
»Äh – zu Ihnen, Sir?«
Ein Lächeln stahl sich über die Züge des Mannes.
»Der Meisterharfner nimmt es mit der Etikette nicht so genau wie die anderen Meister hier. Die Tradition verlangt, daß der Geselle, der am längsten unter dem gleichen Meister
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