Pern 06 - Der Weisse Drache
G’narish, die übrigen Weyrführer aus der Vergangenheit, dazu bewogen, sich auf die Seite von Benden zu stellen. So viele unterschwellige Strömungen und Konflikte durchdrangen den Raum,
dachte Robinton. Wer immer auf den Gedanken gekommen
war, das Ei der Königin zu entführen, hatte zwar sein Ziel nicht erreicht – er hatte es aber geschafft, die Solidarität der Drachenreiter gründlich zu erschüttern.
»Ich kann gar nicht zum Ausdruck bringen, wie schlimm ich 123
das Ganze empfinde, Lessa«, fuhr D’ram kopfschüttelnd fort.
»Als ich davon hörte, wollte ich es erst nicht glauben. Ich begreife einfach nicht, welchen Vorteil ihnen dieser Schritt bringen sollte. T’kul ist älter als ich. Sein Salth hätte es nie geschafft, eine Benden-Königin im Flug zu überwinden. Das gilt im übrigen für alle Drachen des SüdKontinents.«
D’rams verwirrte Worte trugen ebenso wie zuvor Robintons Offenheit dazu bei, die Anspannung im Beratungsraum ein wenig zu entschärfen. Ohne es zu merken, hatte D’ram
Robintons Theorie unterstrichen, daß der Raub im Grunde ein Kompliment für Benden sei.
»Vermutlich leben die Bronzedrachen gar nicht mehr, bis die junge Königin zum ersten Paarungsflug aufsteigt«, fuhr D’ram nach einer kleinen Pause fort. »Acht Drachen des SüdKontinents sind, wie wir alle wissen, im Laufe des letzten Planetenumlaufs gestorben. Also haben sie das Ei umsonst gestohlen – völlig umsonst.« In seiner Miene spiegelte sich tiefe Trauer wider.
»Nicht ganz umsonst«, entgegnete Fandarel mit dumpfer Stimme. »Denn seht nur, was mit uns geschehen ist, die wir seit vielen Planetenumläufen Freunde und Verbündete sind! Ihr Drachenreiter …« – sein Zeigefinger schien sie aufzuspießen –
»wart nur einen winzigen Schritt davon entfernt, eure Tiere gegen die des Südens zu hetzen.« Fandarel schüttelte langsam den Kopf. »Ein furchtbarer Tag war das heute, ein furchtbarer Tag! Wenn man ihn nur ungeschehen machen könnte!« Sein Blick ruhte lange auf Lessa. »Ich habe Angst um uns und um Pern, wenn nicht der Zorn schwindet und die Vernunft siegt.
Lebt wohl, ich gehe jetzt.«
Mit großer Würde verneigte er sich vor jedem der Weyrführer und ihren Gefährtinnen, vor Brekke und zuallerletzt vor Lessa.
Sie hielt den Blick gesenkt. Seufzend verließ er den Raum.
Fandarel hatte klar zum Ausdruck gebracht, was Robinton Lessa beizubringen versuchte – daß die Drachenreiter ihren 124
Einfluß auf Burgen und Gilden verlieren würden, wenn sie sich von Zorn und Rachelust leiten ließen. Man hatte in der Hitze des Augenblicks ohnehin fast zuviel gesagt – und das vor Zeugen, die sich nur ungern der Vorherrschaft des Weyrvolkes beugten.
Aber wie kam man an Lessa heran, die stur auf Rache sann und alles andere zu vergessen schien? Zum ersten Mal in seiner langen Amtszeit als Meisterharfner von Pern fehlten Robinton die Worte. Als ob es nicht reichte, daß er Lessas Wohlwollen verloren hatte! Wie konnte er sie nur zur Vernunft bringen?
F’lar räusperte sich. »Fandarel hat mich daran erinnert, daß Drachenreiter mit weitreichenden Folgen rechnen müssen, wenn sie Privatfehden austragen. Ich ließ es einmal so weit kommen, daß eine Kränkung mir die Vernunft raubte. Der heutige Tag ist die Konsequenz von damals.«
D’ram schaute auf, starrte F’lar an und schüttelte dann langsam den Kopf. Auch die anderen Drachenreiter murmelten entrüstet. Alle fanden, daß F’lar damals in Telgar richtig gehandelt hatte.
»Unsinn, F’lar«, sagte Lessa und schüttelte mühsam ihre Starre ab. »Das war doch keine Privatfehde! Du mußtest an jene m Tag gegen T’ron antreten, um Pern zusammenzuhalten.«
»Und heute darf ich nicht gegen ihn oder T’kul antreten, sonst besteht von neuem die Gefahr, daß Pern zerfällt.«
Lessa löste den Blick lange nicht von F’lars Zügen. Dann sanken ihre Schultern nach vorn; sie gab sich zögernd geschlagen.
»Aber – wenn dem Ei irgendein Schaden zugefügt wurde –
wenn die kleine Königin stirbt oder sonst etwas …«
»Dann werden wir uns ganz sicher noch einmal mit der
Angelegenheit befassen«, versprach F’lar und hob feierlich den Arm.
Inbrünstig hoffte Robinton, daß sich die Kleine als gesund und kräftig erweisen würde – daß sie dieses Abenteuer ohne 125
Folgen überstanden hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, da sie ausschlüpfte, wußte er vielleicht schon mehr und konnte Lessa endgültig besänftigen.
»Ich muß jetzt zu Ramoth«,
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