Pern 07 - Moreta, die Drache
schimpfte Orlith. Du hast getan, was du konntest. Ganz bestimmt findet sich irgendein Hinweis in den Archiven. Leri wird ihn entdecken.
»Ich glaube, es ist der Nebel, der mich so deprimiert. Ich habe das Gefühl, als müßte ich für alle Ewigkeit durch das Nichts irren.«
Du bist mir ganz nahe. Gleich hast du die Treppe erreicht!
Orlith behielt recht. Eine Sekunde später stieß Moreta mit der Fußspitze hart gegen die unterste Felsenstufe. Sie ertastete mit einer Hand die Wand und dann den Türrahmen zum Lager-raum. Die Riegel waren so alt, daß Moreta sich manchmal fragte, weshalb man die Dinger überhaupt noch benutzte. Sie drückte die schwere Bohlentür nach innen. Selbst der Nebel konnte die vielfältigen Gerüche, die ihr entgegenströmten, nicht ersticken. Moreta griff nach oben und deckte den Leuchtkorb ab. Der würzige Duft getrockneter Kräuter belebte und schärfte ihre Sinne. Als sie weiter in den Raum vordrang, konnte sie die einzelnen Gerüche unterscheiden; das große Licht deckte sie gar nicht ab, da sie wußte, wo sich die Fiebermittel befanden. Die mit Federfarn gefüllten Regale sowie die dicken Bündel, die von der Decke hingen, um durchzutrock-nen, erschienen ihr mehr als ausreichend, um sämtliche Weyrbewohner gleichzeitig zu behandeln. Ganz schwach
vernahm sie das hastige Rascheln der Tunnelschlangen. Die lästigen Biester hatten ihre eigenen Ein-und Ausgänge durch die Felsenspalten. Nesso mußte mal wieder Gift auslegen. Auf dem Regal rechts war Akonit - ein viereckiger Glasbehälter, bis an den Rand gefüllt mit der zerstoßenen Wurzel. Daneben große Mengen Weidensalz und vier Gefäße mit Fellissaft.
Sh'gall hatte außerdem von Husten gesprochen. Moreta sah sich um: Tussilago, Schwarzwurz, Ysop, Thymus, Oesob und Borrago - alles im Übermaß vorhanden. Die Alten hatten bei ihrer Überfahrt sämtliche Heilkräuter und Bäume mitgebracht, 116
mit denen sie Krankheiten und Unwohlsein lindern konnten.
Einige davon halfen sicher auch gegen diese neue Epidemie.
Sie kehrte um, verdeckte den Leuchtkorb und blieb einen Moment lang in der Tür stehen. Der Rahmen war blankpoliert von all den Händen, die sich dagegen gestemmt hatten.
Generationen. Generationen, die alle möglichen seltsamen Ereignisse und ungewöhnlichen Krankheiten überlebt hatten -
so wie sie diese neue Prüfung überleben würden!
Der Nebel hatte sich nicht gelöst, und sie sah die Treppe nur schemenhaft. Wieder stieß sie mit dem Fuß gegen die unterste Stufe.
Sei vorsichtig! warnte Orlith.
»Ich werde mir Mühe geben.« Moretas rechte Hand tastete die Felswand entlang. Ihre Füße suchten im Nichts, bis sie die Sicherheit der nächsten Stufe spürten. Der Nebel spann sie immer dichter ein. Aber Orlith sprach ihr so lange Mut zu, bis sie den schwachen Schimmer ihres Weyrs erkennen konnte.
In der Felsenkammer war es deutlich wärmer als draußen.
Orliths Augen leuchteten, als Moreta näher trat und sie streichelte. Einen Moment lang schmiegte sie sich an die weiche duftende Haut ihres Drachen.
Du bist müde. Du mußt jetzt endlich schlafen!
»Du kommandierst mich schon wieder herum, was?« Aber
Moreta ging gehorsam in ihre Schlafkammer, zog sich rasch aus, wickelte sich in die Felldecken und war im Nu eingeschlafen.
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KAPITEL VI
Ruatha, 11.03.43
Alessan sah, wie Moreta den Arm zum Abschied hob und winkte. Gleich darauf stieß sich der große Drache kraftvoll ab und schnellte in die Höhe; seine goldene Haut hob sich schimmernd gegen den dunkelgrauen Himmel ab und über-strahlte den schwachen Lichtschein der ha lb heruntergebrann-ten Fackeln. Und dann trat das ein, worauf Alessan gewartet hatte: Orlith und ihre Reiterin, die schöne Weyrherrin von Fort, verschwanden im Dazwischen. Die Festflaggen, die im Sog der mächtigen Schwingen geflattert hatten, hingen wieder schlaff an ihren Masten.
Alessan atmete tief durch und reflektierte lächelnd noch einmal die Glanzpunkte seines ersten Festes als Herr von Ruatha. Sein Vater hatte ihm oft genug eingeschärft, daß eine gute Planung der Schlüssel zum Erfolg sei. Gewiß, daß Squealer gesiegt hatte, war das Ergebnis einer langen, sorgfältigen Planung, aber er hatte nie und nimmer mit Moretas Gesellschaft bei den Rennen gerechnet. Und sie war eine so spontane Begleiterin gewesen. Ebensowenig hatte er geahnt, daß sie mit ihm tanzen würde, eine leichtfüßige Partnerin, die es verstand, das Temperament und die Begeisterung eines Mannes zu wecken. Wenn
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